1884 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Dritte Periode, von 1150—1300.
§ 22.
Verfall und Entartung des Minnegesanges.
Die Klagen Walthers über den Verfall der Minne und des Minne-
gesanges sollten nur zu bald zur vollsten Wahrheit werden. Ver-
gebens versuchte der in Ästerreich aufgewachsene Rheinländer Re in mar
von Zweier gegen Ende der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
durch ernste Rügelieder dem sichtlichen Verfalle der Minnepoesie zu
steuern: Inhaltslosigkeit und überkünstliche Form gewannen
immer mehr die Oberhand.
Wir nennen hier den bayerischen Ritter Neidhart von Neuen-
thal (zwischen 1210—1240), bett Begründer der höfischen Dorf-
poesie, welcher seinen Stoff dem Leben der Bauern entnahm und durch
Verspottung der Plumpheit und Putzsucht, sowie der Liebeshändel derselben
die Lachlust der Ritter zu erregen suchte.
Ulrich von Licht enstein (ch um 1275), aus steiermärkischem
Geschlechte, führt in seinem „Franendienst", einer Selbstbiographie,
den Minnedienst, der nunmehr aller sittlichen Reinheit entbehrt, derartig
auf Abwege, daß derselbe nur noch als lächerlich alberne Narretei, ja
als völlige Verrücktheit erscheinen muß.
Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, weil er dem
Namen „Frau" (Herrin) den Vorzug gab vor der Benennung „Weib"
(Gegensatz zu Mann), soll in Mainz, wo er im Jahre 1318 starb, die
erste Meisterschule gegründet haben. So bildet er den Übergang von den
Minnesängern zu den Meistersängern der folgenden Periode.
C. Didaktik.
§ 23.
Zweck der Didaktik; Dichtungen.
Fanden wir schon bei Walther einzelne Gedichte, welche zu Zucht und
Ordnung mahnten und eigentliche Lebensweisheit lehrten, so bildete sich
das Streben, das praktische Leben in Übereinstimmung mit wahrhaft
christlicher Gesinnung zu bringen, gegen die Mitte des 13. Jahr-
hunderts immer mehr und mehr aus. Die Verfasser dieser Lehrgedichte
sind meist bürgerlichen Standes und zeichnen als solche gegenüber dem
heiteren höfischen Leben eine mehr ernste und strenge Lebensauffassung.
Genannt seien aus der ziemlich großen Reihe solcher Dichter und Dichtungen
nur folgende drei: