1889 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Hense, Joseph, Führer, Anton
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
20 I. Beschreibende Prosa: Geschichtliche und geographische Charakteristik.
und Sang für alle Zeit verherrlichten Stätten, wo der göttliche Kämpe
mit den unnahbaren Händen schreckliche Opfer brachte den Manen des
erschlagenen Waffenbruders. Dann sah der Kronprinz die herrliche
Siebenhügelstadt am Goldenen Horn, das Ein- und Ausgangsthor zum
Schatzhause der halben Welt. Über Jaffa nahm er darauf seinen Weg,
wie ehedem abendländische Pilger und Kreuzfahrer, zu den hochheiligen
Stätten der Welterlösung, zum erinnerungsreichen Jerusalem, einreitend
durch das sonst nur dem Sultan geöffnete Damaskus Thor, von male-
rischen Volkshaufen umdrängt und bewillkommnet von griechischen und
abessinischen Mönchen. Er betrat die heilige Grabkirche, begab sich nach
Hebron und Nazareth und zog dann die vormalige indisch-türkisch-italie-
nische Handelsstraße entlang über Damaskus und Beirut nach Port-Said.
Es stand bevor die Eröffnung des Suezkanals. Auf fünf buntbewimpelten
Schiffen fuhren die neue Wasserstraße dahin die versammelten Fürsten,
ein jeder einzeln mit seinem Gefolge: vorauf der Khedive, dann die teil-
nehmenden Gäste in geordnetem Zuge: die Kaiserin von Frankreich, der
Kaiser von Österreich, der Kronprinz von Preußen und der Kronprinz
der Niederlande. Man sah Jsmailia, Suez, Kairo. Dann folgte eine
Fahrt den Nil hinauf, ein Kamelritt in die Wüste, die Besteigung der
großen Pyramide von Gizeh, der Besuch Alexandrias. Zu lebendiger
Gegenwart wurde geschichtliche Vergangenheit, Zeiten und Zustände, Men-
schen und Schicksale, Völkerschlachten und Umwälzungen älterer und
jüngerer Jahrhunderte: die Pharaonen und Moses, Sesostris und Rham-
sinit, Kambyses, Alexander, die Ptolemäer, Cäsar, Antonius und Kleopatra,
die türkischen Schecks und die portugiesischen Seehelden, versunkene Han-
delsflotten und begrabene Karawanenzüge.
Von all den Erlebnissen auf all den Reisen senkt sich am tiefsten
in unser Herz ein anheimelndes Bild. Es war im Januar 1878. Unser
Kronprinz weilte im Namen und Aufträge seines erhabenen Vaters zu
Rom im Quirinal. Der König Humbert und seine Gemahlin Margareta,
gefeiert von dem begeisterten Volke auf dem geräumigen Vorplatze, waren
bereits wieder und wieder hinausgetreten auf den Balkon des Palastes.
Aber die Evvivas erbrausen von neuem, und von neuem erscheint das
Königspaar, diesmal zugleich mit ihnen der befreundete kaiserlich deutsche,
königlich preußische Thronerbe. Der führt an der Hand den achtjährigen
italienischen Erbprinzen; er hebt ihn aus den Armen dem Volke entgegen;
er küßt ihm Stirn und Wange. Ein Sturm der Begeisterung, tosend wie
Meergebrause, dankt dem beglückenden Kinder- und Menschenfreunde, dem
glücklichen Gatten und Vater aus nordischen Landen. Denn daheim, hin
über die Alpen, war an ihm zur Wahrheit geworden das Wort des
Psalmisten: „Dein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock um