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1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 81

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
3. Laokoon. 81 bewegen soll, so muß ein vorübergehender Moment gewählt sein; knrz vorher darf kein Teil des Ganzen sich in dieser Lage befunden haben, kurz nachher muß jeder Teil genötigt sein, diese Lage zu verlassen; dadurch wird das Werk Millionen Anschauern immer wieder neu lebendig sein. Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich in gehöriger Entfernung, mit geschlossenen Augen davor; man öffne sie und schließe sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixierter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke, da sie gegen das Ufer anströmt. Dieselbe Wirkung entsteht, wenn man die Gruppe nachts bei der Fackel sieht. Der Zustand der drei Figuren ist mit der höchsten Weisheit stufen- weise dargestellt: der älteste Sohn ist nur an den Extremitäten verstrickt, der zweite öfters umwunden, besonders ist ihm die Brust zusammen- geschnürt; durch die Bewegung des rechten Armes sucht er sich Luft zu machen, mit der Linken drängt er sanft den Kopf der Schlange zurück, um sie abzuhalten, daß sie nicht noch einen Ring um die Brust ziehe; sie ist im Begriffe, unter der Hand wegzuschlüpfen, keineswegs aber beißt sie. Der Vater hingegen will sich und die Kinder von diesen Um- strickungen mit Gewalt befreien, er preßt die andere Schlange, und diese, gereizt, beißt ihn in die Hüfte. Um die Stellung des Vaters sowohl im ganzen als nach allen Teilen des Körpers zu erklären, scheint es mir am vorteilhaftesten, das augen- blickliche Gefühl der Wunde als die Hauptursache der ganzen Bewegung anzugeben. Die Schlange hat nicht gebissen, sondern sie beißt, und zwar in den weichen Teil des Körpers, über und etwas hinter der Hüfte. Die Stellung des restaurierten Kopfes der Schlange hat den eigentlichen Biß nie recht angegeben, glücklicherweise haben sich noch die Reste der beiden Kinnladen an dem hintern Teile der Statue erhalten; wenn nur nicht diese höchst wichtigen Spuren bei der jetzigen traurigen Veränderung auch verloren gehen! Die Schlange bringt dem unglücklichen Manne eine Wunde an dem Teile bei, wo der Mensch gegen jeden Reiz sehr empfindlich ist, wo sogar ein geringer Kitzel jene Bewegung hervorbringt, welche wir hier durch die Wunde bewirkt sehen: der Körper flieht auf die entgegengesetzte Seite, der Leib zieht sich ein, die Schulter drängt sich herunter, die Brust tritt hervor, der Kopf senkt sich nach der berührten Seite; da sich nun noch in den Füßen, die gefesselt, und in den Armen, die ringend sind, der Überrest der vorhergehenden Situation oder Handlung zeigt, so entsteht eine Zusammenwirkung von Streben und Fliehen, von Wirken und Leiden, von Anstrengungen und Nachgeben, die vielleicht unter keiner andern Hense, Lesebuch, m. 6
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