1889 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Hense, Joseph, Führer, Anton
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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I. Beschreibende Prosa: Litteraturgeschichte.
immer bedingungslos, er verweigerte sie zuweilen. Er hatte seine feste
Politik, seine hergebrachten, begründeten Überzeugungen. Jetzt erst, im
19. Jahrhundert, begann bei uns die ruhige Verbreitung der „Sprache
Goethes", die nun von Goethe selber als ein festes Idiom angewandt wurde.
Und all diese Macht auf natürlichem Wege, langsam wie Bäume
wachsen, erworben, ohne die leiseste Anwendung litterarischer Reklame.
Goethe hatte einen solchen Widerwillen dagegen, sich dem Publikum auf-
zudrängen, daß ihm oft genug die Geflissentlichkeit zum Vorwurfe gemacht
worden ist, mit der er sich zurückzog. Seine ruhig ausharrende Persön-
lichkeit ließ die Gegenbestrebungen zu Boden sinken. Es ist zu Goethes
Gunsten von Anfang an viel geschrieben und gesprochen worden: es hätte
ungedrnckt und ungesagt bleiben können, ohne an seiner Machtstellung
zu ändern.
So stirbt er endlich in hohem Alter. Das Land war erschüttert
von seinem Verluste. Man kam sich verlassen und verwaist vor. Dann
aber mußte man sich Helsen ohne ihn, und schließlich: man half sich. Denn
all das, was oben aufgezählt ist als Goethes Thätigkeit, war sterblich
wie er selber.
Nun aber das, was unsterblich ist. Wie ein mächtiger Strom, aus
dem weder gesäet noch geerntet wird, aber der die gewaltige Ader ist, die
das Land belebt, ohne die ein Volk stumm und verlassen wäre, so belebt
und beherrscht Goethes Gefilde der Strom seiner Dichtung. Mag er
sich noch so sehr dem Gewühle der Menschen und der Geschäfte hingeben:
einsam ist er zu gleicher Zeit, und nur das bewegt seine Einsamkeit, was
er da, aus eigener Kraft, zu unsterblicher Dauer geschaffen hat. Goethe
hatte die uns unbegreifliche Fähigkeit, in zwei Welten zugleich zu leben,
die er völlig verbindet und dennoch zugleich völlig voneinander getrennt
hält. Stück für Stück werden seine irdischen Schicksale für unsere Blicke
sich zusammenziehen. Mit immer einfacheren Worten wird man sie ab-
thun. Immer einsamer wird er dazustehen scheinen und endlich nichts
übrig bleiben, als Goethe, der Schöpfer von Gestalten von ewiger
Jugendkraft. H. Grimms
22. Goethes „Hermann und Dorothea"
Ein Dichter, dem es nicht darum zu thun ist, eine Studie nach der
Antike zu verfertigen, sondern mit ursprünglicher Kraft, national und
volksmäßig zu wirken, wie es einem epischen Sänger geziemt, wird i
i Hermann Friedrich Grimm, Sohn Wilhelm Grimms, geboren 1828
zu Kassel, Professor der Kunstgeschichte zu Berlin.
- Vgl. Teil Ii, S. 231.