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1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 307

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
7. Die deutschen Dialekte. 307 dessen die Entfaltung eintrete; von zu dicht nebeneinander gedrängten Dialekten werden einige gehemmt und erstickt, wie nicht mit gleichem Ge- zweige alle Äste des Baumes sich ausbreiten. Für den Ast entscheidet die Gunst der Luft und des Lichtes, für die Sprache unter allen Ein- wirkungen giebt den Ausschlag das Gedeihen der Poesie. Da nun die Poesie auf drei Wegen ausgeht: als Epos, Lyrik und Drama, das Epos au Alter das erste, das Drama das jüngste ist und das lyrische Lied in der Mitte steht: so wird die Sprache am reinsten entwickelt sein, in welcher sich alle Stufen der Dichtkunst ungestört dargethan haben. Der griechischen Sprache war ein glückliches Los gefallen, weil sie unter bewegten und ruhigen Menschen auf Landzungen, Halbinseln und Inseln immer zur rechten Stunde in alle Geheimnisse der Dichtarten ein- geweiht wurde. Sie entfaltete vier Dialekte, von welchen der äolische für den ältesten, noch auf dem festen Lande Thessaliens und Böotiens waltenden und dann weiter vorgedrungenen gilt: er gewährt die alter- tümlichste, oft dem Latein begegnende und bei Vergleichung urverwandter Sprachen überhaupt ergiebigste Form. Im Gebirgslande des Pelopon- nes erblühte der dorische, in Zonien der jonische Dialekt, jener hell und scharf die lyrischen Töne, dieser weich fließend das Epos zeugend. Aus allen dreien ging zuletzt im Drama und reichgebildeter Prosa der gewal- tigste attische hervor, dessen die geistige Ausstattung des griechischen Volkes nicht mehr entraten konnte. Er ist weder Berg- noch Küstensprache, weder alt noch neu, sondern die gelungene Einheit sämtlicher Dialekte. Es mangelt'viel, daß die Geschichte unserer Sprache ein so in sich abgeschlossenes Bild darböte. Für die richtige Beurteilung ihrer Dialekte gehe ich aber von folgendem aus der Geschichte der Sprache geschöpften und in der Natur ihrer Spaltung gegründeten Satze aus: Alle Mund- arten und Dialekte entfalten sich vor schreitend, und je weiter man in der Sprache zurückschaut, desto geringer ist ihre Zahl, desto schwächer ausgeprägt sind sie. Ohne diese Annahme würde überhaupt der Ursprung der Dialekte wie der Vielheit der Sprachen unbegreiflich sein. Alle Mannig- faltigkeit ist allmählich aus einer anfänglichen Einheit entsprossen, und wie sämtliche deutschen Dialekte zu einer gemeinschaftlichen deutschen Sprache der Vorzeit verhält sich die deutsche Gesamtsprache wiederum als Dialekt neben dem litauischen, slavischen, griechischen, lateinischen zu einer ältern Ursprache. Die Besonderheit dieser Sprachen mag schon in Asien ent- sprungen sein, gewiß war sie dort noch nicht so entschieden und scharf bestimmt wie späterhin. Alle Mundarten und Dialekte liefen Gefahr, sich ins Unendliche zu splittern und zu verwirren, wäre dem nicht eine weise Schranke gestellt durch das Übergewicht der sich niedersetzenden größeren Schriftsprachen, 20 *
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