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1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 330

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
330 Ii. Lehrende Prosa: Poetik und Ästhetik. was hilft es, dem Herrn von Voltaire etwas einzuwenden? Er spricht, und man glaubt. Ein einziges vermißte er bei seiner Bühne, daß die großen Meisterstücke derselben nicht mit der Pracht aufgeführt würden, deren doch die Griechen die kleinen Versuche einer erst sich bildenden Kunst gewürdigt Hütten. Das Theater in Paris, ein altes Ballhaus, mit Verzierungen von dem schlechtesten Geschmacke, wo sich in einem schmutzigen Parterre das stehende Volk drängt und stößt, beleidigte ihn mit Recht; und besonders beleidigte ihn die barbarische Gewohnheit, die Zuschauer auf der Bühne zu dulden, wo sie den Acteurs kaum so viel Platz lassen, als zu ihren notwendigsten Bewegungen erforderlich ist. Er war überzeugt, daß bloß dieser Übelstand Frankreich um vieles gebracht habe, was man bei einem freiern, zu Handlungen bequemern und präch- tigern Theater ohne Zweifel gewagt hätte. Um eine Probe hiervon zu geben, verfertigte er seine „Semiramis". Eine Königin, welche die Stände ihres Reiches versammelt, um ihnen ihre Vermählung zu eröffnen; ein Gespenst, das aus seiner Gruft steigt, um Blutschande zu verhindern und sich an seinem Mörder zu rächen; diese Gruft, in die ein Narr hinein- geht, um als ein Verbrecher wieder herauszukommen: das alles war in der That für die Franzosen etwas ganz Neues. Es macht so viel Lärmen auf der Bühne, es erfordert so viel Pomp und Verwandlung, als man nur immer in einer Oper gewohnt ist. Der Dichter glaubte das Muster zu einer ganz besondern Gattung gegeben zu haben; und ob er es schon nicht für die französische Bühne, so wie sie war, sondern, so wie er sie wünschte, gemacht hatte: so ward es dennoch auf derselben vorderhand so gut gespielt, als es sich ungefähr spielen ließ. Bei der ersten Vor- stellung saßen die Zuschauer noch mit auf dem Theater; und ich hätte wohl ein altväterisches Gespenst in einem so galanten Zirkel mögen er- scheinen sehen. Erst bei den folgenden Vorstellungen ward dieser Un- schicklichkeit abgeholfen; die Acteurs machten sich ihre Bühne frei; und was damals nur eine Ausnahme zum Besten eines so außerordentlichen Stückes war, ist nach der Zeit die beständige Einrichtung geworden. Aber vornehmlich nur für die Bühne in Paris, für die, wie gesagt, Semiramis in diesem Stücke Epoche macht. In den Provinzen bleibt man noch häufig bei der alten Mode und will lieber aller Illusion als dem Vorrechte ent- sagen, den Zai'ren und Meropen auf die Schleppe treten zu können. Die Erscheinung eines Geistes war in einem französischen Trauer- spiele eine so kühne Neuheit, und der Dichter, der sie wagte, rechtfertigt sie mit so eigenen Gründen, daß es sich der Mühe lohnt, einen Augen- blick dabei zu verweilen. „Man schrie und schrieb von allen Seiten," sagt Herr von Voltaire, „daß man an Gespenster nicht mehr glaube und daß die Erscheinung der
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