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1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 351

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
12. Worterklärungen des Hohen und des Erhabenen. 351 wenn wir in die Tiefe hinabschauen; wenn dieses Gefühl sich mit Furcht mischt, Schauder. In beiden setzt uns die Natur auf unsern Mittel- punkt zurück, uns vor dem Sturze zu sichern; Schwindel wirft uns hinunter. Selbst den schönen Himmel über oder unter uns, z. B. im hellen See, zu sehen, giebt nicht einerlei Eindruck. Aufwärts erhebt sich unser Blick, er beflügelt unsere Gedanken; der in der Tiefe zurückgestrahlte Himmel giebt ein ruhiges Bild, das vor uns schwimmt, in dem wir uns spiegeln oder sanft versinken. Der Anblick der Weite endlich erhebt nicht, sondern weitet unsere Seele. Eine große Ebene, wenn nicht Tu- mult und Gewühl sie zerteilen, oder fremde Gefühle der Finsternis, der Gefahr, der Einsamkeit u. s. f. unserem Gefühle Entsetzen, Schauder, Grauen, Angst hinzumischen, giebt einen frohen, ruhigen Anblick. Man hat den Begriff des Erhabenen verwirrt, wenn man alle diese zum Teil einander widrigen fremden Gefühle zusammenmischte. Insonderheit ist der Eindruck der Höhe und Tiefe dem Naturmenschen sehr verschieden. Allen Nationen, welche die sreie Weite lieben, ist die Höhe Himmel; die Hölle war ihnen ein Abgrund, wohl gar eine enge Spalte, ein grausen- voller Kerker. Erhoben ist, was durch eigene oder fremde Kräfte emporstieg; unserem Gefühle nach geschieht ohne Mühe kein Heben. Die Sprache abstrahiert von dieser Mühe des Hebens, wenn sie das, was in der höhern Region seiner Natur nach ist, erhaben nennt, ob dieses Wort gleich eigentlich nicht den Ort, sondern die Form bezeichnet. Eine erhabene Form geht aus einer Fläche hervor, so wie eine hohe Gestalt in sich selbst ein Höhenmaß trägt. Von Kindheit auf haben wir dieses Höhen- maß üben gelernt; der Begriff der Höhe zeichnete sich uns früh in die Seele. Was hoch ist, wird weit gesehen; von einer Höhe sieht man weit umher, man sieht vieles unter sich, niedrig. Eine Höhe zu erklimmen, kostet Mühe; sie zu erschwingen, bedarffs Flügel; daher in allen Sprachen das Hohe ein Ausdruck der Vortrefflichkeit ward. Ein hoher Mut (Hochgemut) erstrebt die Höhe; ein hoher Sinn hat sie durch Natur inne. Hohe Gedanken wandeln auf ihr; hohe Begierden streben hinauf. Was sagen nun aber erhabene Gefühle? was will das Ge- fühl des Erhabenen? Erhabene Gefühle können keine anderen sein, als die sich wirklich erhaben, d. i. vom niedrigen entfernt, in einer Höhe fühlen. Sie stehen nicht drunten und krümmen sich hinauf; sie fühlen sich droben. Ein Gefühldes Erhabenen oder am Erhabenen kann nichts als die Empfindung seiner Höhe und Vortrefflichkeit sein, mit einem Maße zu sich selbst, vielleicht auch mit Sehnsucht, zu ihm zu gelangen, gewiß aber mit der Hochachtung, die dem Erhabenen gebührt.
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