Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 454

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
454 Ii. Lehrende Prosa: Philosophische Propädeutik, Pädagogik und Ethik. ohne feindlich zusammenzustoßen; hier liegen für alle gemeinsame Ziele, und es ist doch zugleich in ihrer Auffassung und Verfolgung jeder Eigen- tümlichkeit, der Völker wie der Individuen, der freieste Spielraum ge- lassen. Je lebendiger ein Volk von dem Werte der Bildung durchdrungen ist, je höher es die geistigen und sittlichen Interessen stellt, je ernster, hingebender und selbstloser es sie verfolgt, um so harmonischer wird sich sein nationales Leben dem der Menschheit einfügen, um so vollständiger wird in demselben der Gegensatz der Nationalität und der Humanität gelöst sein. Unter allen neueren Völkern ist nun wohl keines, dem die Erfüllung dieser Forderung durch seine natürliche Begabung wie durch seine bis- herige Entwicklung in höherem Maße erleichtert würde, als dem unsern. In der deutschen Art lag es ja von jeher, sich mehr nach innen als nach außen zu wenden, sich mit den sittlichen, religiösen, philosophischen Fragen lebhafter und anhaltender zu beschäftigen, als mit den Dingen, welche den meisten für die Macht und den Wohlstand der Völker die wichtigsten zu sein scheinen. Das deutsche Volk hat sich diesem Zuge seiner Natur Jahrhunderte lang einseitig überlassen, und es hat deshalb die Erfolge, die es im Gebiete des geistigen Lebens errang, mit langer Vernachlässigung und schwerer Schädigung seiner materiellen Interessen erkauft. Als andere Völker sich zu starken Nationalstaaten zusammen- faßten, ging von Deutschland der epochemachende Anstoß zur Befreiung und Umgestaltung des religiösen Bewußtseins aus; aber seiner politischen Einheit wurden durch den Streit der Konfessionen unheilbare Wunden geschlagen. Als unsere Nachbarn jenseits der Vogesen ihr Staatswesen unter krampfhaften Zuckungen ernenebten, feierten wir das goldene Zeit- alter unserer Poesie und unserer Philosophie; aber unser Vaterland lag blutend und zerrissen zu den Füßen des fremden Eroberers. Während andere durch Handel und Industrie zu hohem Wohlstände gelangten, blieb Deutschland in seiner wirtschaftlichen Entwicklung um ebensoviel zurück, als es in der Wissenschaft und Litteratur seinen Nebenbuhlern vorauseilte. Wenn Engländer und Franzosen in stolzem Nationalgefühl andere Völker nicht selten verletzten und hochmütig auf sie herabsahen, waren die Deut- schen zwar immer geneigt, das Fremde anzuerkennen und sich anzueignen, aber sie ließen sich auch nur zu oft verleiten, das Einheimische zu ver- achten und zu verleugnen, der nationalen Selbstüberhebung Selbstweg- werfung entgegenzubringen. In unsern Tagen hat sich dieses geändert; das heutige Deutschland darf sich in seinem wirtschaftlichen wie in seinem politischen Leben, in seinen kriegerischen so gut wie in seinen wissenschaft- lichen Leistungen jedem andern in freudigem Selbstgefühle zur Seite stellen; es war unserem glücklichen Geschlechte beschieden, die Höhe zu
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer