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1. Beschreibende und lehrende Prosa - S. 513

1889 - Freiburg im Breisgau : Herder
V. Bürgers „Lenore" eine Musterballade. 513 Phantasie aufgeht. Das blutende.herz, das nach zertrümmerter Hoffnung mit Gottes Vorsehung vermessen hadert, das sich selbst den Tod wünscht „in Nacht und Graus", ist jeder Tröstung seitens der Mutter und seitens der Religion unzugänglich, da es nur Vereinigung mit dem Geliebten er- sehnt, bei dem es Seligkeit und ohne den es Hölle zu finden wähnt. Und als diese Vereinigung scheinbar erfolgt, da packt uns kalter Grans ob des furchtbaren Geisterrittes, der, immer schauerlicher sich gestaltend, end- lich mit dem schrecklichen Tode Lenorens seinen Abschluß findet. Dazu hat dieser Stoff einen durchaus volkstümlichen Charakter. Ein jeder Krieg läßt im Herzen des Volkes, welches ihn glücklich geführt, eine gewisse Begeisterung zurück, mit der es jede Erinnerung an denselben freudig aufnimmt. So lebte im preußischen und auch im ganzen deutschen Volke ein lebhaftes, begeistertes Gedenken des Siebenjährigen Krieges und des großen Friedrich, der durch denselben das bisher kleine Preußen zu einer Großmacht erhoben und deutsches Wesen wieder zur Geltung ge- bracht hatte. Kein Wunder daher, daß ein Stoff, welcher jenen großen Krieg zum Hintergründe hatte, das Volk mächtig anregte und begeisterte. Gar tief ist ferner bei dem Volke eingewurzelt der Glaube an Gespenster, an ein Wiedererstehen der Gestorbenen, die um Mitternacht erscheinen, entweder weil sie im Leben große Sünder gewesen und deshalb im Grabe keine Ruhe finden können, oder weil sie die Hinterbliebenen, die im Über- maße der Trauer sich an Gottes Vorsehung versündigen, warnen oder strafen wollen. Der volkstümliche Charakter zeigt sich ferner in den handelnd auf- tretenden Personen. Wilhelm ist ein Sohn ans dem Volke, der mit seinem Könige auszog, um für die Größe seines Vaterlandes das Schwert zu führen. Ihm gleichbürtig ist Lenore; in ihrer übergroßen Liebe setzt sie vermessen alles hintan, was ihr vordem heilig gewesen. Eine schlichte, einfache Frau ist Lenorens Mutter, die in wahrer Herzensfrömmigkeit als Heilmittel für das Leid ihrer geliebten Tochter nur Gebet und Sakrament kennt, deren Gedanken und Worte deutlich die Gottergebenheit und das gläubige Vertrauen eines einfachen Weibes ans dem Volke kennzeichnen. Auch die Sprache ist in vielen Ausdrücken und Wendungen echt volkstümlich, wie in: „Hurre, hurre, hvpp, hopp, hopp!" „Trab, trab, trab!" „Und hui!" „Hilf Gott!" „Ach, daß sich Gott erbarme!" „Was Gott thut, das ist wohlgethan." „Hin ist hin! Verloren ist ver- loren!" u. s. w. Wie durch die Eigenart des Stoffes, so ist die Ballade auch durch ihre Anlage ausgezeichnet. Sie ist ganz dramatisch aufgebaut, so daß man eine kleine Tragödie in Akten daraus bilden könnte mit Exposi-
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