1903 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Hense, Joseph, Führer, Anton
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittealter
- Geschlecht (WdK): Jungen
Zweite Periode. §5. Die Poesie unter dem Einflüsse der Geistlichkeit. 15
Thu biguolen Yolla, Frija erä suister;
Da besprach ihn Dolla (und) Irija, ihre Schwester;
5. Thu higuolen Wodan, so he wola conda:
Da besprach ihn Wodan, wie er wohl konnte:
Löse benrenki, söse bluotrenki,
Sei's Beinverrenkung, sests Blutverrenkung,
8os6 lidirenki:
Sets Gliedverrenkung:
Ben zi bena, bluot zi bluoda,
Wein zu Weine, Wlnt zu Wlute,
Fid zi gekiden, söse gelimida sin !
Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien!" 1
Zweite Periode, von 800 dis 1100.
8 5.
Die Poesie unter dem Einflüsse der Geistlichkeit.
Mit der Christianisierung der heidnischen Sachsen kam eine christliche
Poesie auf. Um dem Volke für die den Götterglauben fördernden und
deshalb von Ludwig dem Frommen verbotenen nationalheidnischen Lieder
und Sagen Ersatz zu bieten, verfaßten die Geistlichen Dichtungen christ-
lichen Inhalts, welche teils absichtlich teils unwillkürlich nationale An-
schauungen enthielten. Solche Darstellung zeigen das Wessobrunner
Gebet, genannt nach dem Kloster Wessobrunn oder Weißenbrunn in
Oberbayern, und das Muspilli (d. h. Weltbrand) genannte Lied, auf-
gefunden in der Bibliothek von St Emmeran in Regensburg.
Das Wessobrunner Gebet, in alt sächsisch er Mundart ver-
faßt, aber von einem hochdeutschen Schreiber aus Bayern um 800 auf-
gezeichnet. stellt in neun stabreimenden Versen in einem epischen Eingänge
die vor der Weltschöpfung herrschende Leere dar, nur „war da der eine
allmächtige Gott, der Männer mildester" (enti do was der eino al-
mahtico cot, manno miltisto); es folgt ein kurzes prosaisches Gebet
um rechten Glauben, guten Willen und um Kraft, dem Teufel zu widerstehen.
Im „Muspilli", aufgeschrieben auf leer gebliebenen Seiten eines
dem Könige Ludwig dem Deutschen gewidmeten frommen Buches, fehlen
1 Phol nach I. Grimm der Beiname des Lichtgottes Balder, Sunna, die
Sonne; Sinthgunt, eine Begleiterin der Sunna — Morgen- oder Abendstern, nach
andern die Mondgöttin; 'Wodan, auch Odin genannt, und Frija, die Göttermutter,
das höchste Götterpaar; Volta, die Göttin der Fülle, des Reichtums.