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1. Dichtung des Mittelalters - S. 164

1903 - Freiburg im Breisgau : Herder
164 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode. fangs in kindischer Einfalt (tumpheit) von unbefangenem Glauben ge- leitet wird, dann aber im Bewußtsein einer Schuld, die er durch Unter- lassung menschlichen Mitgefühls aus sich geladen, der Welt sich hingibt und, in hochmütigem Trotze von Gott sich abwendend, dem Zweifel (zwivel), ja der Verzweiflung anheimfällt, zuletzt jedoch, nach langer Zeit unglücklichen inneren Zwiespaltes zur Bekehrung gemahnt, sich buß- fertig zeigt und, durch bittere Prüfungen in seinem Innern geläutert, in demütigem Vertrauen auf die göttliche Gnade zur Versöhnung mit Gott und zum höchsten Glücke (saelde) gelangt. Mit Recht hat man dieses Epos ein psychologisches genannt, wie Goethe in der zweiten Blüteperiode der Literatur im „Faust" ein psychologisches Drama schuf. Hat das letztere, nach Vilmars Worten, den Vorzug rascherer Handluug, schlagender Tatsachen, ergreifender Mo- mente für sich, so gewährt Wolframs Epos größere Fülle, reichere Stoffe, anschaulichere Entwicklung; dazu schreitet dasselbe im ruhigen Bewußtsein seiner inneren Wahrheit, im vollen Bewußtsein der siegenden, ewigen, christ- lichen Wahrheit seiner Vollendung und der tiefsten Befriedigung des denken- den Lesers entgegen als das wahre Abbild einer Zeit, welche gesucht und gefunden hatte und im Vollgenusse des Besitzes leiblich und geistig befriedigt war. Schon Wolframs Zeitgenossen, außer Gottfried von Straßburg, welcher in der ihm eigenen Richtung für den strengen, sittlichen Ernst des Gegners kein Verständnis hatte, so daß er ihn den „Jäger wilder Märe" (siehe S. 168) nannte, singen mit Begeisterung das Lob des großen Parzivaldichters in Bewunderung seiner planmäßigen Anordnung, seines sittlichen Ernstes, seines kindlichen Glaubens, der Tiefe und des Reichtums seiner Gedanken, der Klarheit und Feinheit seiner Seelenmalerei1, trotz seiner häufig verwirrenden Stofffülle und trotz seiner vielfach dunklen, in oft seltsamen Bildern sich bewegenden und schwerfälligen Sprache. Seine weisheitsvolle Kunst war im 13. Jahr- hundert sprichwörtlich, und Parzival wurde unter den ersten deutschen Werken bereits 1477 dem Druck übergeben. 8 19. Gottfried von Straßburg. Gottfried von Straßburg, wahrscheinlich einem Straßburger Patrizier- geschlechte entstammend (daher „von Straßburg Meister Gotfrit"), war i ^— Her Wolfram, ein wise man von Esclienbach, sin herze ist ganzes sinnes dach, leien munt nie baz gesprach.“ (Wirnt von Hravenberg.)
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