1903 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Hense, Joseph, Führer, Anton
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittealter
- Geschlecht (WdK): Jungen
23. Walther von der Vogelweide.
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Die höheren Lebensjahre stimmen den Dichter ernster: sein Minne-
lied ist fast ganz verstummt; er klagt in herben Tönen über den Verfall
der Minne, der Zucht und heitern Fröhlichkeit, über die Vergänglich-
keit und Nichtigkeit alles Irdischen, die ihm bei einem Besuche
seiner Jugendheimat besonders auffällt. Sein Sinn richtet sich auf himm-
lische Dinge; er sehnt sich nach dem Heiligen Lande, in der freudigen
Hoffnung, daß dort all sein Leid gestillt, und seliger Friede über ihn
kommen werde. Ob er jedoch an dem Kreuzzuge Friedrichs (1228) teil-
genommen hat, ist zweifelhaft. Noch erhebt sich seine Muse zu einem
Marienleich voll würdiger Kraft und erhabener Feierlichkeit, da rafft ihn
der Tod, etwa gegen das Jahr 1230, dahin. Er fand die letzte Ruhe-
stätte auf dem stillen, von einem Kreuzgange umschlossenen Hofe des neuen
Münsters zu Würzburg 1.
Verfall der Sangcskunjl.
Owe hovelichez singen,
daz dich ungefüege dcene
selten ie ze hove verdringen !
daz die schiere got gehoene!
owe, daz din wirde also ge-
liget,
des sint alle dine friunde untre,
daz muoz eht so sin, nü si also:
frö 2 Unfuoge, ir habt gesiget.
Der uns freude wider brsehte,
diu reht und gefüege wsere,
hei wie wol man des gedachte,
swä man von im seite msere!
Weh dir, höffsch edles Singen,
Daß dich ungefüge Töne
So von Hof zu weichen zwingen!
Ob sich Gott dir nie versöhne?
Weh, wie nun dein Preis danieder-
liegt !
Keinen deiner Freunde sieht man froh:
Muß es denn so sein, so sei es so:
Unfug, du hast obgesiegt.
Wer uns Freude wieder brächte,
Die der rechten Kunst entspränge.
Wie man rühmend sein gedächte,
Wo sein Name nur erklänge!
1 Nach einer handschriftlichen Sage soll Walther in seinem Testamente verfügt
haben, daß auf seinem Grabstein den lieben Vögelein täglich dreimal Weizenkörner
und in vier eingehauenen Löchern Wasser gegeben werden sollte. Die Grabschrift
im Kreuzgange lautete:
Pascua qui volucrum vivus, Walthere, fuisti,
Qui flos eloquii, qui Palladis os, obiisti!
Ergo quod aureolam probitas tua possit habere,
Qui legit, hic dicat »Deus, istius miserere!“
Der du die Vögel fo gut, o Walther, zu weiden verstandest,
Blüte des Wohllauts einst, der Minerva Mund, du entschwandest!
Daß nun der himmlische Kranz dir Redlichem werde beschieden,
Spreche doch, wer dies liest: „Gott gönn' ihm den ewigen Frieden!"
(Simrock.)
2 frö — frouwe (Frau).