1908 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
§ 16. Oden und Lieder von Klopstock.
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Und unerforschlichsten ist: Er hat zu sterben beschlossen!
Ach, nun reißt sie von neuem mir auf, die Wund' in der Seele!
Deine Gespräche von Gott bedeckten sie leise; nun reißt sie
Wieder auf und blutet, die tiefe Wunde! Dich segne
Gott, ja Abrahams Gott, er segne dich! Aber, o wende
Dies dein weinendes Auge von mir! Es tröstet umsonst mich.
230. Denn er beschloß zu sterben und stirbt!" Die Stimme verließ sie.
Lange standen sie beide mit weggewendetem Antlitz.
Endlich, wie ein Sterbender sich noch einmal zum Freunde
Kehrt, sprach Portia noch: „O du, du teu'rste der Mütter!
Mutter, ich geh' und weine mit dir bei dem Grabe des Toten!" —
§ 16.
2. Klopstocks Oden und Lieder.
Bedeutender als im „Messias" erscheint Klopstock in den Oden, die
erfüllt sind von christlichem und echt deutschem Geiste. In ihnen,
die nach Herders Wort so recht „eine Poesie des Herzens und der Emp-
findung" sind, entfaltet er inhaltlich den höchsten Schwung seiner
Lyrik und bekundet äußerlich eine reiche metrische Kunst. Treffend
sagt Herder in seiner Rezension der Oden (1798): „Klopstocks Oden
sind erstlich Gesang. Also erhebe man die Stimme und lese sie vor,
auch wenn man sie sich selbst liefet. Kaum hat unsere Sprache ein Buch,
in dem so viel lebendiger Wohllaut in melodischer Bewegung so leicht und
harmonienreich tönet wie in diesem. Zweitens hat im großen Umfange
der dargelegten Ansichten und Empfindungen jeder Gegenstand seine Farbe,
jede Empfindung ihren Ton, jede Situation ihre Haltung, so daß kein
Stück dem andern gleich ist. Drittens werden Klopstocks Gedichte durch
edle Gesinnungen charakterisiert. Seine jugendlichen Gesänge hauchten
eine jugendlich paradiesische Liebe; mit dem Händedruck der männlichen
Freundschaft schlossen sich andere dem Leser ans Herz; andere belebte
Religion und eine heitere Weisheit. Die aus dem reiferen Alter des
Dichters verleugnen ihre jüngeren Schwestern nicht; der süße Most ist guter
alter Wein geworden, im goldenen Becher deutscher Treue mit griechischen
Rosen umlaubt; es herrschen in ihnen die Gesinnungen der Vaterlands-
liebe, Menschlichkeit und Weisheit."
Der Inhalt bezieht sich auf Gott, Natur, Liebe, Freund-
schaft, Vaterland und Literatur. Ihren Grundton bildet reli-
giöse Begeisterung. Erhabene Gedanken und kühne Bilder fesseln
den Leser, der die Mühe nicht scheut, sich in dieselben zu vertiefen. Mag
auch der Flug der Phantasie den Dichter oft zu überraschenden Sprüngen