1908 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
§ 25. Bürger.
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und durch Percys Sammlung altenglischer Balladen (Reliques of ancient
English Poetry, 1765) zur Balladendichtung angeregt, schuf er die Dich-
tung „Lenore", die ganz Deutschland im Fluge durcheilte. Einfacher volks-
tümlicher Stofs, entnommen einer düstern, geheimnisvoll grausigen Sage,
angelehnt an den das Volk mächtig aufregenden Siebenjährigen Krieg, knappe
Form bei rasch fortschreitender Handlung, die, dialogisch-dramatisch ge-
halten, den Leser in immer größere Spannung versetzt, volkstümliche Kraft
des Ausdrucks bei harmonischem Wohlklang der Sprache, leicht fließender
Versbau machen die Lenore zu einer Musterballadeu Weniger be-
deutend, wenn auch getragen von dramatischer Lebendigkeit und nicht ohne
Wohllaut der Sprache, sind: „Der wilde Jäger", „Die Kuh", „Der Kaiser
und der Abt" und das an phrasenhaft schwülstigem Tone leidende „Lied vom
braven Mann". Andere Balladen dagegen, in denen der Dichter Volkstümliches
und Gemein-Derbes verwechselt, enthalten bei oft leerem Klingklang von
Worten manches Unschöne, Grobe und selbst Anstößige und verletzen so die
Würde der Poesie, für welche Schiller mit Recht „immer gleiche ästhetische
und sittliche Grazie, männliche Würde, Gedankengehalt, hohe und stille Größe"
in Anspruch nimmt. Außer einigen volkstümlichen Liedern, z. B.
„Herr Bacchus ist ein braver Mann", „Ich rühme mir mein Dörfchen hier",
sind noch als bedeutsam hervorzuheben seine Sonette, denen selbst der
dem Dichter wenig geneigte Schiller das Lob zuerkannte, daß sie, „Muster
ihrer Art, auf den Lippen des Deklamators sich in Gesang verwandeln".
1. Lenore.
Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
„Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen?" —
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.
Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde,
Erweichten ihren harten Sinn
Und machten endlich Friede;
Und jedes Heer niit Sing und Sang,
Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Reisern,
Zog heim zu seinen Häusern. 1
j Und überall, allüberall.
Auf Wegen und auf Stegen,
Zog alt und jung mit Jubelschall
Den Kommenden entgegen.
„Gottlob!" rief Kind und Mutter laut,
„Willkommen!" manche frohe Braut;
Ach, aber für Lenoren
War Gruß und Kuß verloren.
Sie frug den Zug wohl auf und ab
Und frug nach allen Namen;
Doch keiner war, der Kundschaft gab
Von allen, so da kamen.
Als nun das Heer vorüber war.
Zerraufte sie ihr Rabenhaar
Und warf sich hin zur Erde
Mit wütiger Gebärde.
1 Siehe Teil Iii, S. 249: „Wesen der Romanze und der Ballade" von Hense.