1908 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Führer, Anton, Hense, Joseph
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
§ 54. Die moderne Literatur. Konrad Ferdinand Meyer.
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6. Friede auf Erden.
Fort im Sternenraum zu singen,
Fuhr der Himmel fort zu klingen
„Friede, Friede auf der Erde!"
Da die Hirten ihre Herde
Ließen und des Engels Worte
Trugen durch die niedre Pforte
Zu der Mutter und dem Kind,
Fuhr das himmlische Gesind
Doch es ist ein ew'ger Glaube,
Daß der Schwache nicht zum Raube
Jeder frechen Mordgebärde
Werde fallen allezeit:
Etwas wie Gerechtigkeit
Webt und wirkt in Mord und Grauen,
Und ein Reich will sich erbauen,
Das den Frieden sucht der Erde.
Seit die Engel so geraten,
O wie viele blutige Taten
Hat der Streit auf wildem Pferde,
Der geharnischte, vollbracht!
In wie mancher heil'gen Nacht
Sang der Chor der Geister zagend.
Dringlich flehend, leist verklagend:
„Friede, Friede auf der Erde!"
Mählich wird es sich gestalten.
Seines heil'gen Amtes walten,
Waffen schmieden ohne Fährde,
Flammenschwerter für das Recht,
Und ein königlich Geschlecht
Wird erblühn mit starken Söhnen,
Dessen Helle Tuben dröhnen:
Friede, Friede aus der Erde!
7. Der gleitende Purpur.
„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!"
Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben.
Kaiser Otto lauscht der Mette,
Diener hinter sich mit Spend' und Gaben.
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute, da die Himmel niederschweben,
Wird dem Elend und der Blöße
Mäntel er und warme Röcke geben.
Hundert Bettler stehn erwartend —
Einer hält des Kaisers Knie umfangen
Mit den wundgeriebnen Armen,
Dran zerrißner Fesseln Enden hangen.
— „Schalk! Was zerrst du mir den Purpur?
Harr' und bete! Kennst du mich als Kargen?"
Doch der Bettler hält den Mantel
Fest und jammert: „Kennst du mich, den Argen?
„Du Gesalbter und Erlauchter!
Kennst du mich? . . . Du hast mit mir gelegen,
Mit dem Siechen, mit dem Wunden,
Unter eines Mutterherzens Schlägen.
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