Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Handbuch für den deutschen Unterricht in den oberen Klassen der Gymnasien - S. 600

1872 - Köln : DuMont-Schauberg
600 Die Griechische Literatur und ihre Dialekte. er uns aufrollt, die Thaten der älteren und der neueren Zeit, den Wandel der Völker und ihrer Könige, wunderbare und unmuthige Abenteuer, weise und vielbedeutende Reden, merk- würdige Sitten und Lebensweisen der Völker und seltene Erscheinungen der Natur und des menschlichen Kunstfleißes. Auch hier ist alles gestaltvoll, lebendig und ausführlich. Aber diesem epischen Geiste war die Dorische Mundart kein passendes Organ, und sie zu diesem Zwecke umzugestalten, mochte zu jener Zeit, wo ihr Charakter schon fest stand, unmöglich scheinen. So nahm er, was sich von selbst darbot, die dem Epos geweihte, und folglich auch seinem geschichtlichen Epos analoge, Jonische Mundart aus. Und nie ist eine Wahl glücklicher gewesen. Wer möchte die Musen Herodot's in einer anderen Sprache lesen, oder wer ist alles-Sinnes für Angemessenheit so beraubt, um Herodot's Jonismus, der sein ganzes Werk vom Anfang bis zum Ende durchdringt, in eine andere Mundart, etwa die Attische, übersetzt zu wünschen? Denn auch hier zeigt sich, was überhaupt die Griechische Kunst auf eine so herrliche Weise auszeichnet, jener wundervolle Zusammenklang des Inhalts und der Form, jenes Zusammentreffen der inneren und äußeren Musik, dieser ersten und nothwen- digsten Bedingung zur Schönheit, die von den Neueren so oft vernachlässigt, häufig verkannt, ja, wohl gar mit einer nur Barbaren zustehenden Stumpfheit des Gefühls abgeläugnet wird. Denn eben darin thut der Barbar sich kund, daß er, die Form vernachlässigend, nur an dem Stoffe hängt, beides vereinzelt und die harmonische Eintracht von beiden weder beachtet noch würdigt. Als nun die Periode der Kindheit von Hellas sich in das Jünglingsalter verlor und die erste frische Begier nach dem Neuen und Wunderbaren gestillt war, als gleichsam der Jüngling in sich selbst erwachte und in sein Inneres zu schauen begann, da ward, durch die näher liegende, kräftig erregte Welt seiner inneren Natur, der äußern Welt ein Theil ihres Glanzes entzogen, und die epische Muse trat vor der lyrischen zurück. Andere Blumen, tiefer gefärbt und von einem kräftigeren Wohlgeruch, gingen jetzt in dem Garten der Dicht- kunst auf. In den klangreichen Liedern einer Sappho, eines Alkäus, einer Korinna, sprach sich das innerste Gemüth tiefer Gefühle aus, die Seele trat in die äußere Gestalt, und auf den Wellen des Wohllauts getragen, strömte das begeisterte Wort in die Herzen der Zuhörer über und öffnete ihnen, indem es sie in ihren Tiefen bewegte, ihre innerste Welt. Wie nun die Lyrik den Menschen, indem sie ihn in sich hinabdrängt, über sich selbst erhebt, so bedarf sie auch einer tieferen, gedrängteren und schwebenderen Sprache, wie die Aeolische und Do- rische war, die eben so das eigenthümliche Organ der Lyrik wurde, wie die Jonische das Organ der epischen Poesie. Derselbe Charakter größerer intensiver Kraft, der sich in den volleren Lauten, den tieferen Tönen und den härteren Wortformen des Dorismus ankün- digt, empfahl ihn auch, wie es scheint, in Verbindung mit seiner Alterthümlichkeit — denn er war von der ursprünglichen Sprache Griechenlands am wenigsten abgewichen —, der Pythagoräischen Schule, obschon ihr Stifter ein Ionier war; indem der hohe und begeisterte Stil dieser Schule eben so der Lyrik entsprach, wie die phantasireude Physik der Jonischen Weisheit der epischen Dichtkunst verwandt war. Aber noch waren die Tugenden dieser früheren Perioden nur eine einseitige Vortresf- lichkeit. Das männliche Alter kam mit dem Flore der Attischen Zeit, und mit ihm schloß sich der Kreis der Kunst. Hier fanden die einzelnen Strahlen der Vortrefflichkeit ihren Mit- telpunkt. Die heitere Ausführlichkeit der Jonischen Epik und die tiefe Fülle der Dorischen Lyrik trafen im Drama zusammen, in welchem sich der epische Stoff der Zufälligkeit ent- ledigte/ und die subjective Einseitigkeit des lyrischen Gedichtes durch seine Vermählung mit dem dramatischen Stoff eine objective Allgemeinheit erhielt. So wie die Poesie in dieser ihrer höchsten Blüte, so ward in Attika alles und jedes, was in früheren Zeiten und in anderen Gegenden von Griechenland begonnen hatte, zur Vollendung gebracht. Hier trat die Prosa mit der Verskunst in die Schranken und erfand einen eigenthümlichen Silbentanz, durch
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer