1872 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Bone, Heinrich
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1853
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter, Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
Abriß der Pvctik.
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Ode eben so schnell fertig sein, als der Dichter
schreiben könnte; sondern darin zeigt sich der
wahre Dichter, daß er seine Empfindungen
und den Gang derselben, ohne sie zu heinmen,
in sich festhalten kann, bis der sprachliche
Ausdruck ganz vollgültig und dem Inneren
entsprechend geworden.
2. Das Gefühl ist mit dem Dichter im
Gleichgewicht; sie tragen und halten sich ge-
genseitig, und eines spinnt sich im andern
ein und genießt sich und wohnt mit einander,
und am Ende des Gedichtes kehrt man gleich-
sam in den Anfang wieder zurück, und fängt
das Lied von vorne an. Das ist die Em-
pfindungsstufe des Liedes. Während die
Ode gleichsam ein hervorbrechender Strom ist
und am Ende zu einer Art Katastrophe führt,
d. h. zu einem höchsten Höhepunkte gelangt,
oder sich zur Ruhe herabsenkt, ist das Lied
nur ein Tropfen aus dem Quell, ein Spie-
gelbild der momentanen oder auch bleibenden
Stimmung des Dichters.
3. Das Gefühl ist schwächer, als die Per-
sönlichkeit des Dichters; er steht über ihm
und kann es beherrschen: aber er gibt sich
ihm hin, und läßt sich von ihm führen
(nicht: tragen) und sich in seinem Lichte
die Gegenstände zeigen, und in seiner Weise
die Gedanken erwecken. Das ist der Zustand
der Reslexionsfähigkeit; es ist die Empsin-
dungsstufe der Elegie. Man tritt z. B.
einen Spaziergang an, empfindet eine eigen-
thümlich erhöhte Stimmung int Innern, gibt
ihr nach und betrachtet in ihrer Färbung die
Dinge und wird so von Gedanken zu Ge-
danken, von Beziehung zu Beziehung geleitet;
das ist elegisch; es ist der Uebergangspunkt
aus dem Lyrischen zum Epischen. Die ge-
ringere Stufe der lyrischen Erregtheit wird
ersetzt durch epische Anschaulichkeit und Be-
deutsamkeit der Ideen, daher die Elegie sich
zu Beschreibung und Didaktischem neigt.
Ode, Lied und Elegie sind also die drei
Grundformen der Lyrik, hergeleitet aus dem
Wesen der lyrischen Empfindung. Bei allen
dreien gibt es natürlich verschiedene Grade,
so sehr, daß selbst die Ode stellenweise elegisch
werden kann, z. B. die Stelle vom Früh-
lingswürmchen in Klopstock's Frühlingsseier
(S. 240), und xben so die Elegie sich oden-
artig erheben, oder auch bis zur didaktischen
und erzählend-beschreibenden Darstellung her-
abstimmen kann.
Ii. In Bezug auf den Stoff, dem natür-
lich auch Gehalt und Form angemessen sein
muß, theilt man die Lyrik gewöhnlich in
geistliche oder religiöse und in weltliche
(vgl. §. 2, S. 735). Eine besondere Art der
geistlichen Lyrik ist die kirchliche, die nicht
so sehr ein subsectives Gefühl des Einzelnen
ausspricht, als die religiöse Erhebung in dem
allgemeinen positiven Glauben, wie er alle
Gläubigen beseelen soll. Außerdem gibt es
so viele Einzelnamen von lyrischen Gedichten,
als es Arten von Stoffen und Motiven
geben mag: Frühlingslieder, Kriegslieder,
Trinklieder, Jägerlieder, Kindcrlieder, Vater-
landslieder, Wanderlieder, gesellige, politische
u. s. w.
Iii. In Bezug auf die beso ndere Form
hat jede Zeit und jedes Volk auch eigenthüm
liche lyrische Dichtarten. Bei den Minne-
sängern unterschied nian namentlich Lied, Leich
und Spruch (vgl. S. 83). Eine Reihe be-
sonderer Gedichtsformen ist oben 8-15 auf-
gezählt: Sonett, Canzone, Sestine, Madrigal,
Triolett, Rondeau u. s. w.
8- 23. Die einzelnen lyrischen
Dichtarten.
In dem einen oder anderen der genannten
drei Eintheilungsgründe beruht die Charak-
teristik der verschiedenen Gedichtarten, die man
in der Lyrik aufzuzählen pflegt. Die. bekann-
testen davon sind:
1. Die Ode, als Ausdruck der höchsten
Empfindung, wie sie oben näher erklärt
worden. Die vorzüglichsten in der neueren
Deutschen Literatur sind die von Klopstock,
dessen ganze Poesie nach der Sphäre der Ode
hinstrebt. Zu höchster Empfindung gebührt
sich auch höchster Gehalt und Stoff.
2. Die Hymne, nach der neueren Auf-
fassung so viel als religiöse, heilige Ode, aus
Gott und göttliche Dinge, jedoch auch wohl
ausgedehnt auf Preisgesänge einzelner hoher
Personen, die gleichsam wie die Heroen das
Göttliche an sich offenbaren. Die sogenannten
Homerischen Hymnen waren epischen Charak-
ters. Pindar erhob sie zur hohen Lyrik.
Im kirchlich-religiösen Gesänge unterscheidet
man: a. Psalmen; dahin zunächst die
bekannten Davidischen, die höchsten Spitzen
und reinsten Musterbilder aller Lyrik; k>.
Cantica; die übrigen Gesänge der heiligen
Schrift, z. B. das Lied Moses; das hohe Lied
heißt canticum canticorum; e. Hymnen
(hier der Hymnus, nicht die Hymne); die
älteren christlichen Gesänge, besonders die von
der Kirche in den Ritus aufgenommenen: d.
Lieder (cantiones): zunächst die fürs Volk
bestimmten, im Mittelalter Leisen (Kyrie
eleison) genannt. Außerdem noch im Ritus
die Sequenzen, Responsorien, Antiphonen.
3. Dielyrische Rhapsodie, eine Unterart
der Ode; sie hat etwas Abgerissenes an sich,
gleichsam wie ein affecsvoller Monolog; da-
her meist ein freies, ungleiches Versmaß.