1877 -
Stuttgart
: Heitz
- Autor: Borberger, Robert, Nösselt, Friedrich
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1832
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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sie solche in ihren wundergleichen Wirkungen gehörig zu würdigen vermoch-
ten; denn der große Tyrann selbst täuschte sich ja durch den Wahn: die
Völker des Nordens seien keines hochauslodernden Enthusiasmus für Freiheit,
Ehre und Vaterland fähig.
Dem Volke konnte nicht zweifelhaft bleiben, wohin der Aufruf zur allge-
meinen Bewaffnung deutete. Blücher, der hochverehrte Held und ruhm-
volle Veteran, trat wieder in Dienst, und daß Er nur gegen, nie für die
französische Tyrannei fechten werde, war Jedermann gewiß. Der König
brauchte das durch Gründe der Politik noch zurückgehaltene Wort also nicht
auszusprechen; — man wußte doch, was er wollte! Wie durch Zauberschlag
erhob sich nunmehr die allgemeine Begeisterung. Der Wille und Wunsch
des Volks eilte dem Befehle des geliebten Königs vorauf. Die Jugend der
höheren Stände flog zu den Waffen, sobald nur die erste Aufforderung el-
solgte, und die niederen Stände zeigten denselben Eifer. Selbst Staats-
beamte verließen ihre Posten, Familienväter ihre ruhigen Geschäfte, alte
längstens für Invaliden gehaltene Offiziere ihre Zurückgezogenheit, um die
Gefahren des Vaterlandes unter seinen Fahnen zu theilen. Wer keinen
unmittelbaren Antheil am Kriege nehmen konnte, unterstützte den Kampf
durch sein Vermögen, und indem Jeder opferte, was er, ohne sich selbst zu
vernichten, der allgemeinen Sache darbringen konnte, entstand ein so schöner
Wetteifer, daß selbst Fremde davon hingerissen wurden und beträchtliche
Summen zur Rettung Preußens hergaben.
Binnen 24 Stunden hatten sich in der Hauptstadt 9000 zum Dienst
gemeldet. Von allen Seiten strömten begeisterte deutsche Jünglinge herbei.
Die Hörsäle der Universität, die Comptoire der Kaufleute, die Werkstätten
der Handwerker wurden leer. Der Geist des Vaterlandes ergriff auch die
Frauen, und durch die Reize, welche sie über das große Unternehmen der
Vaterlandsbefreiung verbreiteten, halfen sie dem nach, was die Staatsge-
walt nimmer zu bewirken vermochte. Nicht nur opferten die Edelsten ihre
Kostbarkeiten, sondern sie übernahmen selbst die lästige Verbindlichkeit, die
kranken und verwundeten Vaterlands-Krieger zu Pflegen. Allen Frauen des
Königreichs ging die Gemahlin des Prinzen Wilhelm mit erhabenem Bei-
spiele voran. Sie war die Seele der edlen Frauen-Vereine, sie das Muster
der Standhaftigkeit und ausdauernden Geduld in den trüben Tagen, die
Preußen, bevor es den herrlichen Siegeskranz errang, erst noch erfahren
sollte. Eben diese hohen Opfer stärkten das National-Gefühl, entflammten
es täglich mehr, und ließen der Regierung fast nichts mehr zu thun übrig,
als durch ihre ordnende Hand das Ganze zur Einheit und Harmonie zu
bilden. Zum sichtbaren Zeichen der schönen Volksvereinigung bestimmte nun
eine königliche Verordnung vom 22. Febr. die schwarz und weiße National-
Kokarde, welche alle Männer, die das 20. Jahr zurückgelegt haben, tragen
sollten. Die Schlechten und Feigen wurden jedoch jenes Vorrechts, jenes
Ehrenzeichen zu tragen, beraubt, und den für des Vaterlandes Nothstand
gefühllosen Vätern oder Vormündern die psifffgen Auswege, ihre Söhne oder
Mündel dem Dienste des Vaterlandes zu entziehen, versperrt. Den jungen,