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1. Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen - S. 337

1877 - Stuttgart : Heitz
337 das Alles so empfinde, und daß ich jetzt, indem ich es Ihnen sage, meinen Thränen freien Lauf lasse? Ich murre nicht gegen die Vorsehung, ich bete ihre Schickungen als Schickungen des weisesten, gütigsten Vaters an, ich danke selbst diesem liebreichen Vater, daß er meine Gattin in einen bessern Zustand versetzt hat. Aber für mich ist sie doch nicht mehr! Und ihr ermunternder Umgang, ihr Weiser Rath, ihre wachsame Fürsorge, ihr fröhliches Herz, ihr seiner Geschmack, ihre aufrichtige Liebe, die habe oder genieße ich nicht mehr! Alle Augenblicke, dünkt mich, hätte ich ihr etwas zu sagen, sie um Rath zu fragen, mich nach etwas zu erkundigen, selbst alle Feierlichkeiten des Leichen- begängnisses, alle Trauerbesuche und Trauergespräche, dachte ich, müßte ich ihr hinterbringen und ihre Gedanken darüber wissen. Wie schwer, das nicht mehr zu thun, was man über einundzwanzig Jahre gethan, und so gern gethan hat! Wie ganz anders war es vor zwei Jahren, da wir auf der Reise waren, da sie mehr schwebte, als ging, und lauter Lust und Freude um sich her verbreitete! Wie gut, daß man die Zukunft nicht vorher sieht! So nimmt sie doch das Andenken vieler reinen Vergnügungen mit sich, und ich behalte die Befriedigung, ihr dieselben verschafft und sie mit ihr genossen zu haben. Nach und nach wird auch wieder Stille und Ruhe in mein Herz kommen, und mein Geist, den ihre Leiden fast erschöpft hatten, wird sich wieder auf- richten. Die Freundschaft vermag viel über mich. Schon jetzt finde ich mich nach einem sehr traurigen Tage wieder ruhiger, weil ich ihn im vertrauten Gespräche mit Ihnen schließe, und mir dabei den Antheil, den Sie und Ihre beste, liebste Mama an diesem Allen nehmen, lebhaft vorstelle. Gewiß, Sie werden ihr Andenken mit freundschaftlichen Thränen beehren, und, wenn Sie hier wären, wie viel Trost würde ich nicht an Ihrer Seite finden! Ich umarme Sie beide mit der innigsten Liebe. Möge sie doch Gott vor allen ähnlichen Leiden bewahren, und Sie Ihre Lebensbahn bis zum Ziele ebener und leichter finden lassen, als sie meiner lieben seligen Freundin in den letzten Jahren geworden ist! Lieben Sie stets, wie bisher, Ihren rc. Garve an Zollikoser. Charlottenbrunn, den 6. September 1779. Sie haben mir einen großen Beweis Ihrer Freundschaft dadurch gege- den, daß Sie nach einem so schmerzlichen Verlust, als der Tod Ihrer lieben Frau ist, sich bald zuerst an mich wenden, und mich sogleich an Ihrer Be- trübniß und an Ihrem Troste wollen Theil nehmen lassen. Eben war ich im Begriffe, an Sie zu schreiben, und stellte mir, so gute es meine kalte, er- storbne Einbildungskraft thun konnte, die Leiden Ihrer Frau, Ihre Sorg- falt, diese zu lindern, und Ihre Bekümmerniß vor, als Ihr Brief ankam, in welchem Sie mir melden, daß diese Leiden zu Ende sind. Gott sei dafür gelobt! denn was können wir anders, als ihn loben und preisen, wenn wir sehen, daß ein gequältes Geschöpf unsrer Gattung, unsre Freundin, unsre Gattin, endlich am Ziele ihres Jammers ist, wenn wir vor dem letzten Augen- blicke, dessen Furcht doch vielleicht alle andere Schmerzen erhöht, sie ruhiger Literaturgcsch. v. Nösftlt. I. 6. Aufl. 22
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