1. Bd. 1
- S. 103
1911 -
Straßburg
: Straßburger Dr. und Verl.-Anst.
- Hrsg.: Gottesleben, N.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Ii. Aus dem Menschenleben.
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sprachen sie: „Es geht zwar nicht, aber es wäre doch eine feine Kunst,
wenn es geraten wäre."
Ratlos standen nun die armen Schildbürger ans der Straße und
wußten nicht, was beginnen. Da kam ein Fremder des Weges daher,
dem klagten sie ihre Not.
„Es ist ein schwieriges Werk," sagte der schlaue Vogel und kraute
sich hinter dem Ohre, „ein äußerst schwieriges Werk, doch könnte ich's
wohl zustande bringen, so Ihr mir einen guten Lohn gebet."
„Fordere!" antwortete der Bürgermeister, „so viel in unsern Kräften
steht, sollst Du erhalten!"
Der Fremde verlangte hundert Goldgulden, und sogleich wurden
sie ihm zugesprochen. Nun gab er ihnen den Rat, das Dach an mehreren
Stellen abzuheben, und siehe da! das Licht strömte in das Haus, und
die Schildbürger waren außer sich vor Freude und zahlten mit vielen
Danksagungen dem Fremden lausend Goldgulden. Bald aber sollten sie
mit Schrecken gewahr werden, daß sie geprellt waren. Es regnete den
weisen Ratsherrn auf die kahlen Köpfe und in die Akten, und sie waren
gezwungen, die Lücken im Dache wieder zuzudecken. Nun saßen sie in
Not wie zuvor, und mit flackernden Kienspänen erschienen sie zu ihren
Ratsversammlungen. Da geschah es, daß einem der Herren sein Span
erlosch und er tastend an der Wand des Hauses entlang schlich, um
den Ausgang zu gewinnen. Durch eine Ritze in der Wand schimmerte
du Lichtstrahl von außen herein. Fast wäre vor freudiger Überraschung
der ehrsame Ratsherr auf den Rücken gefallen, da er solches sah. Mit
schwungvollen Worten teilte er der hohen Versammlung seine Entdeckung
mit; alle bestaunten das Wunder, und nun kamen die weisen Männer
dahinter, daß sie die Fenster vergessen hatten.
Nach G. Schwab und K. Simrock.
121. Vom '1111 Eulenspiegel.
1. Wer Till Eulenspiegel war.
In dem Munde des Volkes lebt noch jetzt nach 500 Jahren
der Name eines schalkhaften Mannes. Er hieß Till Eulenspiegel.
Seine größte Lust war, die Welt zu durchwandern und lustige,
nicht selten auch boshafte Streiche zu machen. Geboren war Till
Eulenspiegel in einem Dorfe bei Schöppenstädt im Herzogtum
Braunschweig. Er starb 1350 iu dem Städtchen Mölln, 4 Meilen
von Lübeck. Man zeigt daselbst noch einen Grabstein mit seinem
Wappen. So oft er nämlich an einem Orte einen Mutwillen ver-
übt hatte und sich dann aus dem Staube machte, zeichnete er mit
Kreide an die Tür des Hauses einen Spiegel mit einer Eule.
Darunter die Worte: „Der ist es gewesen.“