1. Bd. 1
- S. 235
1911 -
Straßburg
: Straßburger Dr. und Verl.-Anst.
- Hrsg.: Gottesleben, N.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Iv. Land und Leute in Heimat und Vaterland.
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278. Der Kßemfat bei Schaffkausen.
Bei Schasfhausen hört man den Rheinfall schon toben und brausen.
Er erfolgt aber erst bei dem Schlößchen Lauffen, das auf der linken
Rheinseite auf einem hohen Felsen liegt.
Dieser bildete wohl einst mit dem Steindamme, welchen hier der
Rhein zu durchbrechen hatte, eine fortlaufende Bergwand, von der die !
Felsblöcke, die sich jetzt mitten im Strome dem Sturz entgegenstemmen, >
nur Überbleibsel sind. Die Tiefe der Felswand, welche der Rhein herab-
stürzt, beträgt auf dem linken Ufer neunzehn Meter, auf dem rechten
fünfzehn. Wo er den Anlauf zum Hinabspringen nimmt, stemmten sich
ihm früher fünf, jetzt nur noch drei Felsblöcke entgegen, welche aus der
Wand emporragen. Einer wird stets überströmt, die übrigen nur bei
dem höchsten Wasserstande. Bei dem Schlosse Lauffen gewährt ein höl-
zerner, balkonartiger Vorbau über dem Abgrunde die vorteilhafteste
Stellung, um den ganzen, vollen Eindruck des erhabenen Schauspiels mit
einem Male zu gewinnen.
Schon oberhalb des Sturzes mußte sich der Strom in ein enges
Felsenbette zwängen lassen, aus dem zahlreiche Klippen emporstarren.
Schäumend vor Unmut darüber, gelangt er mit starkem Gefälle in die
Nähe der Felszacken, wo der Fall beginnt. Beim Anprallen gegen die
Felsen zerstäubt ein Teil des Wassers und steigt als dichte Nebelwolke
in die Höhe; ein anderer bildet einen schäumenden Gischt, ein dritter
wälzt sich in großen Dampfmassen über den Felsen und gelangt hinab
in den Kessel, wo das Sieden, Schäumen und Strudeln von neuem an-
hebt. In der größten Geschwindigkeit geht dies alles hintereinander und
zugleich nebeneinander vor, da ein Teil des Wassers schon im Kessel
zischt und brandet, wenn der andere erst wider die Felsen prallt und
über sie hinausspritzt. Und wenn dann die Sonne hervortritt, so entsteht
der mannigfaltigste herrlichste Farbenwechsel. Die vom Wind gekräuselten
Säume des Schaumes erscheinen vergoldet, der Wasserstrahl mit Glanz
überstrahlt, und im aufsteigenden, schnell bewegten Dunste wird der
flüchtige Regenbogen hervorgezaubert: sein oberer Rand wird von der
Luft hin- und hergetrieben, vom neu aufwallenden Nebel verwischt und
doch gleich wieder neu erzeugt, während sein Fuß ruhig und unbeweglich
im Gischt und Schaum des Kessels steht.
Auf das Ohr wirkt gleichzeitig das ungeheure Dounergetöse des
Sturzes so gewaltsam, daß man es in stiller Nacht stundenweit hört,
in der Nähe aber niemand sein eigenes Wort vernimmt. Die Luft wird
erschüttert, und ein Staubregen durchnäßt den Zuschauer in kurzer Zeit,
wenn er sich dem Anblicke unvorsichtig hingibt.
Nach K. Simrock.