1910 -
Frankfurt a.M.
: Auffarth
- Autor: ,
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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überall galt es für eine Stufe hohen Erdenglücks, wenn es jemand
vergönnt war, für den Wettkampf mit Viergespannen aufziehen zu können.
Nur die Reichsten traten hier in die Schranken; die Könige von Syrakus
und Kyrene sandten ihre Wagenlenker; hochfahrenden Jünglingen, wie
dem Alkibiades, erschien nur der Sieg im Hippodrom als ein begehrens-
würdiges Ziel. Zu diesem herrlichsten der Schauspiele füllten sich am
vierten Festtage die langen Stufenreihen zu den Seiten der Rennbahn.
Die Wagenstände wurden verlost; vor jedem Wagenstand war ein
Seil gezogen, hinter dem die Renner ungeduldig den Boden stampften.
In der Nähe saß auf einem Altar ein eherner Adler, der, in die
Luft steigend, den ersehnten Anfang des Spieles verkündete. Gleich-
zeitig senkte sich ein Delphin, der auf einem Querbalken lag, ein
Sinnbild des Meergottes. Dies war das Zeichen für die Reiter
und Wagenlenker; denn unmittelbar darauf wurden die Seile vor den
Wagenständen fortgezogen. Nun tauchten die Gespanne paarweise vom
Hintergrund her vor den Angen des Volkes hervor und bildeten beim
Beginn der Bahn eine prächtige, unaufhaltsam stürmende Wagenreihe.
Es kam auf der breiten Bahn, die ein Viergespann mit ausgewach-
senen Rossen zwölfmal dnrchmessen mußte, alles darauf an, einerseits
die kürzesten Fahrten zu machen und möglichst nahe an der Zielsäule
mit dem linkslaufenden Pferde herumzulenken, anderseits aber dem auf
dieser Linie sich zusammenschiebenden Wagengedränge vorsichtig auszu-
weichen. Die Zuschauer verfolgten mit Angst und Jubel die rasch sich
vollendenden Ereignisse des ergreifenden Schauspiels, bis sie mit lautem
Beifallssturm den Glücklichen begrüßen konnten, den des Herolds Stimme
ausrief. Der Sieger wurde von seinen Angehörigen und Landsleuten
umringt, von den anwesenden Hellenen begleitet; der festliche Zug be-
wegte sich vom Hippodrom und Stadium nach dem Eingangstor und
zum Tempel des Zeus; denn hier zu den Füßen des Gottes standen
die Sessel der Kampfrichter; hier stand der heilige Tisch, auf dem
die frischgefchnittenen Kränze des Ölbaumes lagen; vor den Augen des
Zeus wurde des Siegers Haupt geschmückt, wurde die Palme in seine
Hand gegeben, während die Versammlung in den Hallen und auf den
Galerien heilige Lieder anstimmte. Dann brachte der Sieger sein
Dankopfer am Altar des Zeus dar und wurde mit feinen Sieges-
genossen als Gast des olympischen Gottes am Herde des Heiligtums
bewirtet. Die Masse des Volkes aber lagerte sich vor der Altis zwischen
wohlversorgten Meßbuden im Freien oder unter Zelten, und beim
Lichte des Mondes erschallte die ganze Flur von Siegesgesüngen. Hier
schlossen sich neue Freundschaften, hier begegneten sich alte Gastfreunde,