1910 -
Frankfurt a.M.
: Auffarth
- Autor: ,
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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er zum Schmuck, und manch schönes Geschmeide fand sich in ihren
Gräbern. Der römische Schriftsteller Tacitus erzählt uns, daß schön
geschnitzte Ringe, fein gearbeitete Gebrauchsgegenstände aus Bernstein
hohen Wert hatten; eine kleine Bernsteinbüste galt mehr als ein ganzer
lebendiger Mensch, nämlich als ein Sklave. Auch die Kunst, die Farbe
des Bernsteins zu verändern, verstand man schon damals. Die Medizin
bediente sich des Bernsteins zu ihren Heilkünsten. Gegen Magenleiden,
Augen- und Ohrenkrankheiten war Bernstein ein beliebtes Mittel, und
als Amulett getragen, schützte er gegen allerlei Gefahren. Seine elek-
trische Natur haben die Alten schon richtig erkannt. Sie wußten, daß
dieses seltsame Harz kleine Gegenstände anzieht, deswegen nannten
sie es Elektron. Diese physikalische Eigenschaft des Bernsteins wurde
der Ausgangspunkt einer Wissenschaft, welcher der Mensch seine groß-
artigsten Errungenschaften verdankt.
Jahrtausende tropfte das Bernsteinharz im Tropenwald. Kein
Wunder also, daß in dieser ungeheuren Zeitspanne große Mengen Bern-
stein entstehen konnten, so daß noch heutigestags eine Industrie be-
steht, die nur Bernstein verarbeitet. Die Hauptsundstelle dieses Harzes
ist Samland in Preußen. Hier ruht es in der sogenannten blauen
Erde, woraus es bergmännisch zutage gefördert wird. Die sandigtonige,
1 bis 6 Meter dicke Schicht der blauen Erde ist der Niederschlag eines
alten Meeres. Neben Haisischzähnen, Meermuscheln und Braunkohlen
lagert massenhaft der Bernstein. Von der Welle herausgewaschen und
fortgeschwemmt, finden wir das kostbare Harz an der ganzen Ostsee-
küste wieder. Das Samland allein liefert jährlich etwa 100000 Kilo-
gramm Bernstein. Der Wert eines Kilogramms beläuft sich auf
60 Pfennig bis 600 Mark, je nach Größe, Schönheit und Reinheit
der Stücke. Nur die schönsten Stücke, die sogenannten Sedimenlsteine,
kommen sogleich in den Handel. Aus den kleineren Stücken werden
Bernsteinperlen gearbeitet, oder sie dienen in der chemischen Industrie
zur Bereitung von Bernsteinöl, Bernsteinfirnis und Bernsteinsäure.
Am meisten gesucht und geschätzt ist Bernstein mit Insekten- und Pflanzen-
einschlüssen. Man hat bisher etwa 160 verschiedene Pflanzen- und
gegen 300 Jnsektenarten im Bernstein eingebettet gefunden, die in ihrem
goldschimmernden Schneewittchensarg die Jahre überdauert haben.
Käfer und Fliegen, Motten und Spinnen sind dem zähflüssigen Harze zum
Opfer gefallen und so in wunderbarster Erhaltung auf unsere Zeit gekommen.