1918 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav
- Hrsg.: Wolff, Karl
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Pate, „das ist schon so was! Der Wurm raucht Tabak! Spring,
Bub'!" — Und wir liefen die entgegengesetzte Seite des Berges hinunter.
Gegen Abend kamen wir in die Niederung, doch — entweder der
Pate war hier nicht wegkundig, oder es hatte ihn die Neugierde, die ihm
zuweilen arg zusetzte, überlistet — anstatt in Maria-Schutz zu sein, standen
wir vor einem ungeheuern Schutthaufen, und dahinter war ein kohl-
finsteres Loch in den Berg hinein. Das Loch war schier so groß, daß
darin ein Haus hätte stehen können, und gar mit Fleiß und Schick aus-
gemauert; und da ging eine Straße mit zwei eisernen Leisten daher und
schnurgerade in den Berg hinein.
Mein Pate stand lange schweigend da und schüttelte den Kopf. Endlich
murmelte er: „Jetzt stehen wir da. Das wird die neumodische Landstraße
sein. Aber derlogen ist's, daß sie da hineinfahren!"
Kalt wie Grabeslust wehte es aus dem Loche. Weiter hin gegen
Spital in der Abendsonne stand an der eisernen Straße ein gemauertes
Häuschen; davor ragte eine hohe Stange, auf dieser baumelten zwei blut-
rote Kugeln. Plötzlich rauschte es an der Stange, und eine der Kugeln
ging wie von Geisterhand gezogen in die Höhe. Wir erschraken daß. Daß
es hier mit rechten Dingen nicht zuginge, war leicht zu merken. Doch
standen wir wie festgewurzelt.
„Pate Jochem," sagte ich leise, „hört Ihr nicht so ein Brummen in
der Erden?" — „Ja freilich, Bub'," entgegnete er, „es donnert was! es
ist ein Erdbeben." Da tat er schon ein kläglich Stöhnen. Auf der eisernen
Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen,
wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern
und stieß aus dem hochgehobenen Rachen gewaltigen Dampf aus. Und
hinterher —
„Kreuz Gottes!" rief mein Pate, „da hängen ja ganze Häuser d'ran!"
Und wahrhaftig, wenn wir sonst gedacht hatten, an die Lokomotive wären
ein paar Steirerwäglein gespannt, auf denen die Reisenden sitzen konnten,
sahen wir nun einen ganzen Marktstecken mit vielen Fenstern heranrollen,
und zu den Fenstern schauten lebendige Menschenköpfe heraus, und schrecklich
schnell ging's, und ein solches Brausen war, daß einem der Verstand still-
stand. Da hub der Pate die beiden Hände empor und rief mit ver-
zweifelter Stimme: „Jessas, Jessas, jetzt fahren sie richtig ins Loch!"
Und schon war das Ungeheuer mit seinen hundert Rädern in der
Tiefe; die Rückseite des letzten Wagens schrumpfte zusammen, nur ein
Lichtlein davon sah man noch eine Weile, dann war alles verschwunden,
bloß der Boden dröhnte, und aus dem Loch stieg still und träge der Rauch.
Mein Pate wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Angesicht
und starrte in den Tunnel hinein. Dann sah er mich an und fragte
„Hast du's auch gesehen, Bub'?" — „Ich hab's auch gesehen." — „Dann
kann's keine Blenderei gewesen sein," murmelte der Jochem.