1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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der neue Stand der Winzer, der die Frucht in Bottichen keltert. Mit dem
fremden Getränk sind zugleich neue Trinkgefäsze gekommen: neben dem
Horn und der Schale, woraus man früher zu trinken pflegte, wird
jetzt der Wein aus Bechern und Humpen geleert, und zeitig schon
füllte man ihn in die ebenfalls den Römern entlehnte Flasche.
Auch die Wohnung wird unter römischem Einflüsse kunstvoller und
fester. Neben den alten Holz- und Erdbauten tauchen massive Häuser
aus Steinmauern auf, die mit Kalk übertüncht und mit Ziegeln oder
Schindeln bedeckt sind. Der innere Raum zerfällt nun in Stube und
Kammer, an die sich der Speicher als Aufbewahrungsort des Getreides
anschließt. Über dem Wohnraum befindet sich der Söller, unter ihm
der Keller, der unterirdische Vorratsraum. In das Innere des Hauses
zieht größere Bequemlichkeit ein: man lernt den Schemel zum Sitzen,
den Pfühl zum Ruhen kennen, und schon fängt man an, aus besonderen
Schüsseln zu speisen. Mit manchem andern Gerät antiker Kultur findet
jetzt auch der Spiegel in dem germanischen Hause Ausnahme, und wo
einst nur das Herdfeuer geflackert hat, brennen Kerzen und Fackeln.
Selbst die Haustiere, die Genossen der Kinder, bleiben nicht die alten
ausschließlich; zum Hunde gesellt sich die Katze und zum Rosse der Esel.
Solcher Wandel der Kultur mußte natürlich auch auf die
Beschäftigung der Germanen einwirken. Ganz neue Erwerbszweige
tauchen auf. Es sind nicht nur Römer, die den Handel in Händen gehabt
haben, sondern auch Germanen haben sich damit abgegeben. Es läßt sich
nicht leugnen, daß die germanische Rasse von Natur eine große Neigung
für den Handel hat, und überall, wo ihr die Anregung zu ihm
gekommen ist oder wo die Lage des Landes auf ihn hingewiesen hat,
finden wir bei einem großen Teile der Bevölkerung den Handel als
Mittelpunkt der Lebensinteressen. Aber wo immer wir diese Beschäftigung
antreffen mögen, überall zeigt auch bei ihr der Germane einen
ausgeprägten Sinn für rechtliches Tun und Handeln; er verabscheut
Hintergehung und Betrug sowohl bei Freunden wie bei Feinden und
wird deshalb nicht selten das Opfer seiner Ehrlichkeit. Von der Römerzeit
an nimmt der deutsche Handel, wenn auch nicht seinen Anfang, so doch
besondern Aufschwung. Am Rhein und an der Donau, wie im Innern
das Landes entsteht bereits eine Art Märkte; dort verkehren die
Deutschen mit Römern, hier mit ihren Stammesgenossen. Aber auch zu
den nordgermanischen Stammesbrüdern weisen die Verkehrswege, und
mancher Gegenstand ist durch die Deutschen zu Lande oder zu Wasser