1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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spähend den Zug mit gehobener Waffe, bereit zum Kampf gegen Raub-
tiere oder rechtlose Waldläufer.
Als die Wanderer aber nach der ersten Tagfahrt das einsame
Waldtal erreichten, welches zur Versammlung bestimmt war, da wurde
die Mühe des Tages über der Freude vergessen, Landsleute in der
Wildnis vor sich zu sehen. Hell jauchzten die Kameraden von der Höhe,
und die Lagernden antworteten mit gleichem Ruf; auch solche, die sich
sonst wenig gekannt hatten, begrüßten einander wie Brüder. Die Männer
traten zuhauf, und ein meßkundiger Mann bezeichnte den Lagerraum
mit Stäben. Dort wurden die Zugtiere abgeschirrt, die Wagen zu einer
Burg zusammengestoßen und im Ringe herum die Nachtfeuer aus
zusammengetragenen Steinen entzündet. Während die Haustiere
weideten, von bewaffneten Jünglingen und von den Hunden gehütet,
bereiteten die Frauen die Abendkost. Die Männer aber schlugen aus
Stangenholz den nächtlichen Pferch für die Herde, verteilten die Wachen
und holten aus den Wagen, was sie von kräftigem Trunk mitgebracht
hatten. Dann lagerten sie und sprachen bedächtig von dem guten Weide-
land, das sie am Idisbach zu finden hofften, und von dem endlosen
Wald im Süden der Berge, wie steinig der Baugrund, wie steil die
Gelände und wie darum dieses Bergland spärlich bewohnt sei. Als das
Mahl beendet war, wurden die wertvollsten Rosse und Rinder im Wagen-
ringe gesammelt und die schlaftrunkenen Kinder unter dem Lederdach
geborgen. Nach ihnen stiegen die Frauen in das enge Gemach; nur
die Männer saßen noch eine Weile beim Trinkhorn gesellt, bis auch ihnen
die Augen schwer wurden und die kalte Nachtluft ihre Fröhlichkeit
hemmte. Da hüllten sie sich in Pelze und Decken und legten sich an
die Feuer oder unter die Wagen. Es wurde stiller; nur der Wind
blies von den Bergen. Die Wächter umschritten den Wagenring und
den Pferch und warfen zuweilen Holzscheite in die lodernden Feuer.
Aber unablässig bellten die Hunde; denn aus der Ferne klang heiseres
Geheul, und um den Flammenring trabten gleich Schatten im auf-
steigenden Nebel die begehrlichen Raubtiere.
In solcher Weise zogen die Wanderer drei Tage langsam durch den
Bergwald; der Regen rann auf sie nieder, und der Wind trocknete ihnen
die durchnäßten Kleider. Aber jenseit des Kiefernwaldes sahen sie von
der Höhe freudig in ein weites Tal, das mit ansehnlichen Hügeln und
dichtem Laubwald eingefaßt war. Dort zog sich in gewundenem Lauf
der Idisbach durch die Wiesen, und am Fuß der Anhöhen lagen Höfe