1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: ,
- Hrsg.: Heider, Friedrich, Nohl, Walter
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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und übertrieben sie manchen: klingen, sie werden dennoch beinahe
übertroffen von der wahren und wirklichen stunde, die der alte Lehrer
mit der Hornbrille laut und vernehmlich vorliest, so oft wieder ein
neuer Sieg errungen ist.
2. Heute sind nicht blosz Mädchen und Frauen am Brunnen
versammelt, nein, auch Männer und Burschen genug. Sie kommen
noch herbeigelaufen aus den Türen, Alte und Junge, selbst Lahme
und Krüppel; denn hoch oben auf der Tonne steht wieder der Lehrer
und liest mit weitschallender Stimme:
Der Königin Augusta, Berlin.
Vor Sedan, 2. September, y22 Uhr nachmittags. Die Kapi-
tulation, wodurch die ganze Armee in Sedan kriegsgefangen, ist
soeben mit dem General Wimpffen abgeschlossen, der an Stelle des
verwundeten Marschalls Mac Mahon das Kommando führt. Der
Kaiser hat nur sich selbst mir ergeben, da er das Kommando nicht führt
und alles der Regentschaft in Paris überlätzt. Seinen Aufenthaltsort
werde ich bestimmen, nachdem ich ihn gesprochen habe in einem
Rendezvous, das sofort stattfindet. Welch eine Wendung durch
Gottes Führung! Wilhelm.
So las der Lehrer. Da war's zuerst ganz still über der Ver-
sammlung; nur der Brunnen rauschte im beifälligsten Gemurmel.
3. Aber jetzt bricht's um so lauter los, ein allstimmiger Jubelruf!
Die Buben schreien: Rapolium gefangen! Die Mädchen kreischen:
Die Franzosen sind alle geworden! — Die Besonnenen wollen's noch
einmal hören. Es ist zu groß und zu köstlich, dies teure Königswort;
man kann sich gar nicht satt daran hören, so echt königlich, weil es so
demütig, so gläubig ist. Da werden Augen feucht, die es lange nicht
geworden. Da wallen Herzen auf, die sonst nichts aus der alltäg-
lichen Ruhe bringt.
„Binder," ruft der alte Lehrer, „Kinder, die Hüte herunter!
Zuerst Gott die Ehre!" Und nun stimmt er an: „Run danket alle
Gott!" — und sie stimmen alle ein. Das ist ein Singen und ein
Klingen aus tiefster Brust. Und der Brunnen rauscht dazu wie
Orgelton, und ein Vogel hoch oben in der Linde schmettert drein wie
der Zimbelstern30, wenn sie in der Kirche singen: „Wie schön leucht't
uns der Morgenstern!" —
„Kinder," hebt der Lehrer wieder an, „zuerst dem himmlischen und
nun dem irdischen König die Ehre, dem Teuern und Einzigen, unsern:
lieben Herrn Wilhelm! Er lebe hoch mit seinem ganzen Hause!" —
Und wieder schallte es hin aus tief bewegten Menschenherzen,
wieder rauschte der Brunnen, wieder schmetterte das Vöglein. —