1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: ,
- Hrsg.: Heider, Friedrich, Nohl, Walter
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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unsicher war, ob die Götter der Heimat auch dort Schutz gewährten,
und ob nicht schädliche Würmer und Elbe156 Vieh und Saat zerstören
wollten oder feindliche Männer die Höfe abbrennen. Auch die
Kinder fühlten das Grauen; sie saßen still auf den Säcken, und die
kleinen weinten, obgleich die Eltern ihnen Haupt und Hals mit
heilkräftigem Kraut157 umkränzt hatten, das den Göttern lieb ist.
Mit der aufgehenden Sonne erhoben sich die Fahrenden; der Älteste
ihres Geschlechts oder eine weise Mutter sprach ihnen den Reise-
segen, und alle flehten murmelnd um Glück und bannten durch
Zauberspruch die schädlichen Waldtiere und schweifende Räuber.
Die andern Dorfleute aber, die daheim blieben, blickten scheu auf
die Wanderer wie auf verlorene Menschen. Unheimlich dünkten
ihnen die Frevler, die sich von dem Segen der Heimat lösten; denn
immer zog es die Landgenossen mächtig nach der Ferne, und doch
graute ihnen immer vor einem Leben fern von den Heiligtümern,
von Sitte und Recht der Heimat.
2. Die Wagen bewegten sich knarrend zu den Bergen; von der
Höhe sahen die Wanderer noch einmal nach dem Dorfe ihrer Väter
zurück und neigten sich grüßend gegen die unsichtbaren Gewalten
der Flur. Mancher unzufriedene Gesell warf auch einen Fluch zu-
rück wider seine Feinde, die ihm die Heimaterde verleidet hatten.
Dann nahm alle der Bergwald auf. Mühsam war die Fahrt auf
steinigen Wegen, in die das Schneewasser tiefe Furchen gerissen
hatte, Oft mußten die Männer von den Rossen steigen und mit
Haue und Spaten die Bahn fahrbar machen. Wild erscholl Ruf und
Peitschenschlag der Treiber; die Knaben sprangen hinter den Wagen
und hemmten den Rücklauf durch Steine, und doch zerrten die
Zugtiere machtlos, bis ein Gespann dem andern half oder Männer
und Frauen die starken Schultern an die Räder stemmten. War
die Reise wegsamer, dann umritten die Männer spähend den Zug
mit gehobener Waffe, bereit zum Kampfe gegen Raubtiere oder
rechtlose Waldläufer.
3. Als die Wanderer aber nach der ersten Tagfahrt das einsame
Waldtal erreichten, das zur Versammlung bestimmt war, da wurde
die Mühe des Tages über der Freude vergessen, Landsleute in der
Wildnis vor sich zu sehen. Hell jauchzten die Kommenden von
der Höhe, und die Lagernden antworteten mit gleichem Ruf; auch
solche, die sich sonst wenig gekannt, begrüßten einander wie Brüder.
Die Männer traten zuhauf, und Baldhard, ein meßkundiger Mann,