1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: ,
- Hrsg.: Heider, Friedrich, Nohl, Walter
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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Hezilo. Er sprach langsam und feierlich, und seine Rede tönte zuweilen
wie Gesang. Vieles berichtete er getreu nach der Wahrheit, andres,
wie es ihm in den Sinn kam. Den Namen des Mannes aber, an den
jeder in der Halle dachte, nannte er nicht. Regungslos, mit verhaltenem
Atem lauschten die Zuhörer; nur wenn er vom Schlachtgewühl erzählte,
rührten sich die Männer; ihre Augen glänzten, und sie nickten einander zu.
Und so oft er den Fall der Helden und den Brand der Burgen beklagte,
seufzten die Frauen. Als er seinen langen Bericht beendet hatte, sprach
Edith: „Füllt ihm aufs neue den Becher. Du aber bewahre das Silber
mit unserm Dank; denn große Dinge hast du uns verkündet, die wir alle
im Gedächtnis behalten, solange wir leben." Da sprang Gottfried auf,
überreichte dem Spielmaun den Becher und begann: „Weißt du etwas
von meinem Bruder Jmmo, so verkünde auch das; denn an ihn dachten
wir alle, während wir dich hörten." Bei diesen Worten des Knaben
brachen die Dienstleute in einen Freudenschrei aus. Es war ein kurzer
Ruf, der schnell verhallte; aber er kam aus bedrängten Herzen, die von
einer Last befreit wurden. Wizzelin hob den Becher und rief: „Heil sei dir,
junger Held, daß du als der erste nach ihm fragst im Saale seiner Väter."
Er ergriff sein Spiel, fuhr schnell über die Saiten und sprach: „Dieses
Spiel hat oft von seinem Namen getönt, denn wir Fahrenden singen
mehr als ein Lied von ihn: auf den Märkten und am Herdfeuer. Wollt
ihr das eine hören, wie er den Grafen Ernst schlug?" Uud die Saiten
rührend, stimmte er die Weise an: „Einen Helden weiß ich, Jmmo aus
Thüringeland. So lautet das Lied," erklärte er; „höre, Geschlecht Jrm-
frieds!" Und er begann seinen Sang, wie Jmmo an der Furt des Baches
die Helden des Babenbergers schlug, den Waltram, Hartwin und den
jungen Hadamund, und wie er darauf die Wache am Felsentor hielt,
um durch seinen Leib den König zu decken. Dort lief der edle Graf Ernst
gegen ihn an. Die Speere flogen, die Schilde krachten, und aus den
Schwertern fuhr die feurige Lohe, bis der Babenberger mit zerschlagenem
Helme zurückfuhr. Da warf Wolfere von fernher den Hammer und traf
dem jungen Helden das Haupt, daß er blutend zurücksank. Aber den
Fall seines Edlen zu rächen, sprang König Heinrich selbst in den Kampf.
3. Oft hatte der Spielmann die Herzen der Hörer bewegt, wie er
wollte, und er war gewöhnt, daß sie durch hellen Ruf und leises Stöhnen
ihren Anteil kundgaben. Heut' aber freute sich der Schlaue über das
Entzücken, das er erregte. Die dienenden Frauen streckten in ihrer Auf-
regung die Hände immer wieder dem Himmel zu, Gertrud schluchzte
vor Freude, und die Dienstmannen schnoben heftig mit den Nasenflügeln
und griffen mit den Händen um sich. Der Knabe Gottfried stand wie
verzückt mit glühenden Wangen und aufgerissenen Augen. Seine schlanke
Gestalt schien zu wachsen, und sein goldenes Haar sträubte sich um das