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1. Teil 1 - S. 290

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
290 er entweder verhungern oder versuchen mußte, ohne jemandes Hilfe hinabzusteigen. Der Missetäter unterwarf sich voll Reue diesem harten Spruche und beharrte sogar dabei, obgleich man angesichts seiner Zerknirschung und um seines hohen Alters willen das Urteil mildern wollte. Er wurde auf den Turm gebracht und begann vor den Augen der versammelten Volksmenge mit Angst und Zittern den gefährlichen Abstieg. Bald kam er an ein steinernes Geländer, wo er nicht weiter konnte. Er konnte weder vorwärts noch rück- wärts und mußte Stehenbleiben. Zehn Tage und zehn Nächte stand der arme alte Mann da oben zur Schau, ohne Obdach, ohne Speise und Trank und nagte vor wütendem Hunger das eigene Fleisch von den Händen und Armen. Endlich erbarmte sich seiner der Tod. Her- nach wurde sein steinernes Abbild nebst dem der Dohle auf die Stätte seiner Qual gesetzt. Nach einigen Jahren hat es ein Sturm- wind herabgeweht; aber der Kopf davon soll noch auf dem Rathause Zu Sehen sein, Seide Exner. 302. Das Gottesgericht in Neiße. Vor sehr langer Zeit lebte in Neiße ein habsüchtiger, gewissen- loser Mann. Er borgte sich einmal von einem reichen Fleischer dreihundert Dukaten. Als dieser sie wiederverlangte, so behauptete jener, er habe sie ihm schon zurückgegeben. Aber der Fleischer verklagte den treulosen Schuldner, und das Gericht verlangte von diesem, er müsse seine Aussage beschwören. Er zeigte sich sehr bereitwillig dazu, reichte einen dicken, schweren Stock, den er trug, seinem Gläubiger hin und bat ihn, er möge ihm solchen indes halten, damit er die Hände frei habe. Es war aber ein ausgehöhlter Stock, und der Mann hatte die schuldigen dreihundert Dukaten hineingetan. Daher meinte er, er könnte jetzt der Wahrheit gemäß beschwören, daß er dem Kläger das Geld wiedergegeben habe, und er leistete mit heiterer und ruhiger Miene den feierlichen Eid. Hierauf ließ er sich seinen Stock zurückgehen und verließ fröhlich das Gerichtszimmer zum größten Erstaunen des betrogenen Fleischers. Aber er sollte sich seines ungerechten Gewinnes nicht lange erfreuen. Als er über die Stiege hinabging, glitt ,er aus und stürzte hinab. Der Stock zerbrach, die dreihundert Dukaten rollten heraus, und sein Betrug kam an den Tag; er selbst aber brach das Genick und starb so eines jähen Todes. Heide Exner.
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