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1. Teil 1 - S. 293

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
r ~ ' : ■ — 293 — kaufte sich ein anderes Pferd. Weil aber der Schimmel noch gar nicht alt war, so lebte er noch viele Jahre nach jenem Ritte. Da gab ihm der Herr zuletzt nur eine Metze des Tages, und da ihm auch dies zu viel schien und kein Mensch etwas für den Schimmel geben mochte, befahl er seinem Knechte, den Schimmel wegzujagen. Der nahm einen Prügel, weil das Pferd nicht weichen wollte, und trieb es aus dem Stalle. Da blieb es sieben Stunden am Tore stehen mit niedergebeugtem Kopfe und spitzte seine Ohren, wenn etwas im Hause sich regte. Die Nacht schlief es daselbst auf den harten Steinen, während es kalt war und schneite. Endlich trieb der Hunger das Tier wegzugehen; aber weil es blind war, so stieß es überall an. Mit seiner Nase roch es links und rechts, ob nicht irgendwo ein Hälmchen Stroh liege, doch es fand nur wenig. Es war aber in selbiger Stadt ein Glockenhaus, das stand Nacht und Tag offen. Man hatte es gebaut, um Unrecht zu verhindern. Denn wenn jemand meinte, es geschehe ihm Unrecht von einem andern, so ging er hin ins Glockenhaus, faßte an den Glockenstrick und läutete Sogleich kamen die Richter der Stadt zusammen und richteten. Zufällig tappte auch der Schimmel in dieses Glockenhaus hinein, und da er mit seinen Lippen alles beschnüffelte und aus Hunger mit seinen Zähnen alles benagte, so fand er auch den Strick, faßte ihn mit den Zähnen und fing an zu läuten. Bald kamen die Richter und sahen den Schimmel als Kläger. Da sie wohl wußten, wie große Dienste der Schimmel seinem Herrn getan hatte, so ging ihnen die Sache zu Herzen. Sie ließen Usedom rufen, der sich nicht wenig wunderte, als er seinen Schimmel an der Klageglocke sah. Er wollte sich über seine Hartherzigkeit rechtfertigen; allein die Richter fällten folgendes Urteil: „Die Rügeglocke hat getönt, der Kläger stehet hier; durch nichts wird Eure Tat beschöut, und so gebieten wir, daß Ihr sogleich das treue Pferd in Euren Hausstall führt und bis ans Ende pflegt und nährt, wie's Euch als Christ gebührt." So mußte der Kaufmann den Schimmel wieder zu sich nehmen; es ward auch ein Mann gesetzt, der bisweilen nachsah, ob der Schimmel etwa Not litte. An dem Glockenhause bildete man aber in Stein zum Andenken die ganze Geschichte ab. Volkssage. (Erzählt von Wilhelm Harnisch.)
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