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1. Teil 4 = 5. - 6. Schulj - S. 383

1913 - Hannover [u.a.] : Carl Meyer (Gustav Prior)
383 worfen würden, setzten die Knechte das schlafende Brüderpaar in der plumpen Holzwiege im seichten Wasser aus und gingen von dannen. Durch göttliche Fügung aber verlief sich bald die Flut, und die Mulde stand auf trockenem Erdboden. Da lagen nun die Königskinder, von allen Menschen verlassen, in der Wildnis, und als sie aus dem Schlummer erwachten, trieb der Hunger sie an, kläglich zu wimmern und zu schreien. Das hörte eine Wölfin, die in der Öde umherstrich, und das Raubtier trottete herzu, sah die hilflosen Kleinen und — verschlang sie nicht, sondern erbarmte sich ihrer Not und bot ihnen kräftige Wolfsmilch zur Nahrung dar. Den hungrigen Kindern mundete das Getränk wie Nektar und Ambrosia; sie tranken sich satt, schliefen eine gute Weile und riefen dann wieder durch klägliches Geschrei ihre rauhe Amme aus dem nahen Walde herbei. 4. Nun geschah es, daß Faustulus, einer der Hirten Numitors, von ungefähr in die Gegend kam und das Treiben der Wölfin be- obachtete. Als das Tier sich wieder in den Wald zurückbegeben hatte, eilte er herbei, sah die Kindlein in der Mulde und staunte nicht wenig ob dem Wunder, das hier geschehen. Ihm war vor wenigen Tagen sein einziges Söhnlein gestorben, hier aber lagen vor ihm zwei hilflose Knäblein — sollte er das nicht als einen Wink vom Himmel ansehen, diese Kinder zu sich zu nehmen? Und der wackere Mann besann sich nicht lange; er hob die hölzerne Wiege auf, schlug seinen Mantel darüber und eilte mit seinem Funde nach Hause, um den Schatz seiner Frau Acca Laurentia zu übergeben. Mit Freuden nahm die ihres Kindes beraubte Mutter die Zwillinge in Empfang und pflegte sie in Liebe und Treue. 5. So wuchsen die Königskinder in der Strohhütte des Hirten zu schönen, kräftigen Knaben heran, und jedermann hielt sie für die Kinder des Faustulus, denn dieser hatte sein Geheimnis wohl bewahrt. Er wie sein Weib blickte mit Stolz und Freude auf die Zwillinge, die nicht gemeinen Wesens und Ansehens waren und in den Spielen mit ihren Altersgenossen alle anderen besiegten. Größer geworden, streiften sie mit Wurfspieß, Bogen und Pfeilen durch die Wälder und brachten, ihrer Mutter zur Freude, manche leckere Beute nach Hause. Und nicht bloß die wilden Tiere bekämpften sie, sondern fielen auch über die Straßenräuber her, jagten ihnen ihre Beute ab und verteilten diese unter die Hirten. Dadurch aber zogen die tapferen Brüder sich die Feindschaft aller Wegelagerer zu, und diese Gesellen sannen auf Rache. 6. Einstmals, als das junge Hirtenvolk dem Gotte der Fluren, Pan, zu Ehren auf dem grünen Anger festliche Spiele beging, wurde
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