1917 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Hrsg.: Kloss, Katharina, Porger, Gustav, Biastoch, Otto, Lemp, Eleonore
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
beutel, in dem sich hundert Goldgulden befanden, ab und vergaß
ihn. Bald darauf kam ein armer Masur, der in der Stadt um
geringen Tagelohn arbeitete, an die Stelle und fand den vollen
Geldbeutel. Er ging in die Stadt zurück und fragte überall, ob
jemand den Beutel mit Geld verloren habe. Es meldeten sich
wohl viele Leute, aber niemand konnte die bestimmten Erkennungs-
merkmale angeben. Schließlich kam auch der Wucherer hinzu.
Da er sich gehörig ausweisen konnte, erhielt er seinen Geldbeutel
zurück. Anstatt nun dem ehrlichen Masuren eine Belohnung zu
geben, ließ er ihn festnehmen und gab an, der Masur habe ihm
einen Teil des Geldes gestohlen. Dies verdroß einige Bürger,
welche den Masuren als einen ehrlichen und frommen Mann
kannten. Sie gingen sogleich zum Hauskomtur und zeigten ihm
die Sache an. Der Hauskomtur berichtete es dem gerade in der
Burg anwesenden Hochmeister, welcher damals den König Kasi-
mir Iii., den Großen, von Polen nach Thorn zu einer Zusammen-
kunft eingeladen hatte.
Der Hochmeister forderte sogleich beide mit dem vollen Geld-
beutel vor sich. Zunächst fragte er den Wucherer, ob es denn
wirklich der Beutel sei, den er vergessen habe. Dieser bejahte
es. Nun fragte er den Masuren, ob er den vorliegenden Beutel
gefunden habe. Auch dieser versicherte es, bemerkte aber zugleich,
daß er gar nicht gewußt habe, wieviel Geld darin gewesen sei.
Der Hochmeister forschte weiter, welche Geldsumme der Wucherer
im Beutel gehabt habe. „Hundert Gulden,“ antwortete er. Das
im Geldbeutel vorhandene Geld wurde vom Hochmeister selbst
nachgezählt und in der bezeichneten Summe richtig vorgefunden.
Darauf fragte er den Wucherer, warum er den Masuren habe fest-
nehmen lassen, wenn er doch sein Geld richtig vorgefunden habe.
Der Wucherer antwortete: „Die Meinung, daß die Masuren gern
stehlen, ist allgemein. Daher glaubte ich, es müsse mehr im
Beutel gewesen und etwas davon entwendet sein.“ Somit schien
es ungewiß, wieviel Geld der Wucherer in Wirklichkeit verloren
hatte. Daher schüttete der Hochmeister das Geld wieder aus, gab
dem Wucherer den leeren Beutel zurück und sagte ernsthaft:
„Aus Deinen eigenen Worten erkenne ich zwar, daß der Beutel
Dein ist, nicht aber das Geld; denn es ist nicht soviel vorhanden,
als Du meinst!“ Dem ehrlichen Masuren gab er zehn Gulden
mit den Worten: „Hättest Du betrügen wollen, so hättest Du