1911 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Günther, Fr., Tews, Joh., Hahn, R., Ernst, Albert
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule, Mädchenschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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4. Ihr Veilchen in den U)aldesgründen,
ihr Primeln gelb, ihr Blüten rot,
ihr sollt es alle mitverkünden:
Die Lieb' ist stärker als der Tod!
7\. Pfingsten in Berlin.
von Dorothee Goebeler.
„Maien! Maien!"
Durch den tosenden Lärm der Weltstadt, durch den wilden Chor
rasselnder Wagen, tutender Autos, klingelnder Bahnen, stampfender
Maschinen klingt es wie ein Jubelruf: „Maien! Maien!" Rauhe
Stimmen rufen es über die Straße, in die Häuser und Höfe hinein,
und überall, wo sie klingen, wird es plötzlich hell und licht. Die kleine
Näherin in der finstern Hinterstube hält einen Augenblick mit der
Arbeit inne, und ein sonniger Schimmer breitet sich über ihr blasses
Gesicht; der alte Schreiber im Kontor horcht auf und legt die Feder
beiseite; die Hausfrau schmunzelt still vor sich hin und winkt Auguste,
dem Mädchen für alles, und drückt ihr stillschweigend ein paar Groschen
in die Hand. Wozu? Auguste weiß es.
„Maien! Maien!" Durch Berlins Straßen rollen die Bauern-
wagen mit Kalmus und grünen Zweigen; an allen Ecken und Enden
tauchen sie auf, draußen im eleganten Westen, in des Ostens Arbeiter-
vierteln, in den entlegensten Straßen des hohen Nordens. Und überall
werden sie belagert, bestürmt. Und es kommt Auguste mit dem weißen
Häubchen und der zierlichen Schürze und holt große Zweige für
Loggia und Salon, und es kommt der biedere Handwerker und die
schlichte Frau aus dem Volk, und es kommt der Laufbursche aus der
Schreibstube und das kleine Nähfräulein aus der Arbeitsstube, vor
allem aber kommen die Kinder, und alle jubeln sie und schwatzen und
lachen und beladen sich mit jungen Birkenzweigen. Und als wären
diese grünen, schwanken Zweige tausend itnb abertausend Zauber-
stäbe, die eine gütige Fee über die Stadt geschwungen, so verwandelt
sich Berlin mit einem Schlage.
Berlin, dieses graue, nüchterne Berlin, es legt im Handumdrehen
ein hochzeitlich Gewand an, es prangt in frischem Grün wie eine
Braut im Myrtenkranz, von allen Seiten flattern und wehen und
duften die jungen Maien. Sie wandeln die dunkelste Stube in eine
grüne Laube um, sie tragen einen Hauch von Frühling in den Fabrik-
saal, in die Kontore; sie schmücken die Loggia der Grunewaldvilla