1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Heider, Friedrich
- Hrsg.: Nohl, Walter
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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111. Das Veilchen.
1. Draußen an der Hecke steht im Herbst das Veilchen verlassen
und einsam. Kein Mensch mag es suchen. Es kommt der kalte Winter;
Schloßen und Schneeflocken fallen, und der rauhe Wind fährt über die
Felder. Das Veilchen hat kein Obdach, keinen Schutz vor dem bittern
Froste. Die hohen Büsche, die im Frühling schön weiß und rot blühen,
und die Buchen und Haseln stehen kahl. Ihre Knospen haben sich mit
harten, glänzenden Schalen umhüllt; die sind ein guter Schutz gegen den
Frost. Das Veilchen erhält die abgefallenen Blätter als warme Decke
für den Winter.
2. Doch jetzt kommt der Frühling. Das Veilchen erwacht. Seine
Wurzeln trinken Maitrank. Niedliche Blätter breiten sich nach allen
Seiten aus, jedes zierlich geformt wie ein Herz. Adern ziehen links und
rechts hindurch. Der Rand ist mit kleinen Zähnen versehen. Auf
dünnem Stiele steht die blaue Blüte keck und lustig. Fünf Blätter von
blauer Farbe bilden die Blumenkrone, fünf grüne Kelchblätter umschließen
sie außen. In der Blume prangen fünf goldgelbe Staubblätter und ein
Stempel. Das Veilchen birgt in seiner Blüte süßen Honig. Schmetter-
linge umflattern sie. Bienen sammeln emsig die süße Speise. Seinen
köstlichen Duft sendet das Veilchen zu den Heckensträuchern empor. So
steht es manchen Tag, bis am Sonntag die Kinder zur Hecke kommen,
das Veilchen zu suchen. — Sie tragen es ins Gärtchen, Pflegen es, bis
es verblüht ist, oder pflücken es zum Sträußchen fiir Vater und Mutter.
Hermann Wagner.
112. Schnee im Frühling.
„^>teht schnell aus, Minder, und kommt in den Garten!" riefen
eines Morgens die Eltern, „es hat wieder geschneit, alle Bäume sind
weiß geworden, das müßt ihr sehen."
Die Minder sprangen aus, zogen ihre Jacken und Röckchen an,
aber sie lachten und sagten heimlich zueinander: „Vater und Mutter
wollen sich einen Spaß mit uns machen; es ist ja Frühling und so
warm draußen, da schneit es nicht mehr."
Als sie aber fertig waren und mit den Eltern in den Garten
hinausgingen — was war das! — Za, da standen wirklich alle cksirsch-
bäume, große und kleine, schneeweiß da und glänzten wie Silber im
Sonnenschein!
„O, wie schön das aussieht!" riefen sie alle. Aber Schnee war
es nicht, die Eltern hatten wirklich nur gescherzt; Blüten waren es,
tausend und vielmal tausend kleine, weiße Blüten an den Zweigen.
Ein warmer Regen gestern abend hatte die braunen cksnospen geöffnet;