1911 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Günther, Fr., Tews, Joh., Hahn, R., Ernst, Albert
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule, Mädchenschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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9. Die Stopfnadel.
!?on L)ans Christian Zlndersen.
Es war einmal eine Stopfnadel, die dünkte sich so fein, daß sie
sich einbildete, sie sei eine Nähnadel.
„Paßt nur hübsch auf, daß ihr mich festhaltet!" sagte die Stopf-
nadel zu den Fingern, die sie hervornahmen. „Laßt mich nicht fallen!
Falle ich auf die Erde, so findet man mich bestimmt nimmer wieder,
so sein bin ich."
„Das geht noch an," sagten die Finger, und damit faßten sie sie
um den Leib.
„Seht, ich komme mit Gefolge!" sagte die Stopfnadel und zog
einen langen Faden nach sich; aber es war kein Knoten an diesem
Faden.
Die Finger richteten die Nadel gerade gegen den Pantoffel der
Köchin. An dem war das Oberleder entzwei, das sollte zusammen-
genäht werden.
„Das ist gemeine Arbeit!" sagte die Stopfnadel, „ich komme
nimmermehr hindurch; ich breche, ich breche!" Und wirklich, sie zerbrach.
„Sagte ich's nicht?" sagte die Stopfnadel, „ich bin zu fein!"
„Nun taugt sie gar nichts mehr!" sagten die Finger; aber sie
mußten sie doch festhalten; die Köchin tröpfelte Lack auf die Nadel und
steckte vorn ihr Tuch damit fest.
„So, nun bin ich eine Busennadel," sagte die Stopfnadel. „Ich
wußte wohl, daß ich zu Ehren käme; ist man was, so wird man was!"
und dabei lachte sie in sich hinein; denn man kann niemals einer
Stopfnadel ansehen, wenn sie lacht. Da saß sie nun so stolz wie in
einer Staatskutsche und sah nach allen Seiten.
„Mit Erlaubnis zu fragen, sind Sie von Gold?" fragte sie die
Stecknadel, die ihre Nachbarin war. „Sie haben ein herrliches Äußere
und einen eigenen Kopf; aber klein ist er nur! Sie müssen sich Mühe
geben, zu wachsen; denn nicht ein jedes wird mit Lack betröpfelt!"
Und damit richtete sich die Stopfnadel so stolz in die Höhe, daß sie
aus dem Tuche fiel und gerade in den Gossenstein, den die Köchin
ausspülte.
„Nun gehen wir auf Reisen!" sagte die Stopfnadel. „Wenn ich
nur nicht verkomme!" Aber sie verkam wirklich.