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1. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 20

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
20. Der treue Leo. (Wahre Begebenheit vom Dezember 1891.) Dora Schiatter. „Leo, Leo, laß mich leben; Leo, du erstickst mich," so rief der kleine Hans vergeblich einem mächtigen Bernhardiner in die gelblichen Ohren. Vergeblich — immer wieder legte dieser seine mächtigen Tatzen auf die Achsel des Jungen. Endlich hatte er seine Freude genugsam gezeigt und ließ sich nun schwanzwedelnd den breiten Rücken klopfen von der kleinen Hand. „Ja, bist ein Guter, ein Braver, gelt, der Morgen ist dir lang geworden ohne mich. Aber jetzt komm!“ Damit setzten sich die beiden in Galopp und erreichten in großen Sätzen die väterliche Mühle, die am klaren, sprudelnden Bergbach abseits vom Dorfe lag. Jeden Morgen nach elf Uhr wiederholte sich die Begrüßungs- szene seit dem Frühling, da Hans seinen Schulsack schnallen und abwandern mußte zum regelmäßigen Lernen. Da hatte Leo winselnd und heulend seinen Spielkameraden auf die Landstraße begleitet, und lange hatte er gebraucht, bis er begriffen, er dürfe nicht weiter mitgehen. Kamen die beiden atemlos an der Mühle an, dann setzte sich Leo auf die Steinplatten vor dem Hause und wartete, bis Hans wieder zurückkam von drinnen. Daß es nicht lange dauerte, wußte er. Hans hatte bei der gütigen Mutter ein Stück Brot geholt. „Laß mich doch, Leo, brauchst nicht so zu stoßen, es ist ja dein, aber warf doch" — damit legte Hans seine Hand schützend auf die Hosentasche, um sein erbeutetes Stück vor der zudringlich stoßenden Nase Leos zu schützen. Dann rannte er nach einem Lattenzaun, schwang sich hinauf, um in etwas gesicherter Höhe sein Brot zu verschmausen. Leo setzte sich vor ihn hin und verfolgte mit rotleuchtenden Augen jeden Bissen, der im Munde des Knaben verschwand. Aber mancher flog im Bogen in seinen Rachen, den er geschickt öffnete. Manchmal hielt ihm Hans den Brocken lange an die Nase und ließ ihn schließlich in den eignen Mund spazieren. Dann klopfte Leo mit dem Schwänze auf den Boden, daß es schallte, als wollte er sagen: „Weil du's bist, lasse ich mir das gefallen, sonst würde ich schnappen. Aber wir beide verstehen Spaß."
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