1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: ,
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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„Da setzt's was!" dachte ich, aber er zögerte keinen Augenblick, trabte
ernst und ruhig über die Brücke. In großer Eintracht ging die Strecke
vor sich, bis wir gegen Abend wohlbehalten nach Sitzeldorf kamen.
Heute ist der Graue schon lange tot. Ich werde ihm meine Hoch-
achtung bewahren wie jedem, von dem man etwas Rechtes gelernt hat.
Ich habe von ihm gelernt, daß der Esel ein gutes und nützliches Tier ist,
wenn man ihn — als Esel behandelt.
31. Mut über Gut.
Ludwig Aurbacher.
Es war einmal ein armer Handwerksmann, ein Leinweber, der
saß täglich schon in der Frühe in seiner Werkstatt und arbeitete. Und
wie er denn allezeit fröhlichen Mutes war, so sang er zum Zeitvertreib
nebenbei manch schönes weltliches oder geistliches Liedlein, je nachdem
es ihm just ums Herz war; und er hatte eine so klare und volle Stimme,
daß die Nachbarn keines Haushahnes bedurften, der sie aufweckte. Dies
war aber eben dem reichen Kaufherrn nicht recht, der neben ihm wohnte;
denn wenn der vor Mitternacht nicht schlafen konnte wegen Geldsorgen,
so mußte er nach Mitternacht noch wach bleiben wegen des vermaledeiten
Singsangs des Nachbars. Er dachte daher ernstlich darauf, dem Un-
fug ein Ende zu machen. Verbieten konnte er's ihm nicht; denn das
Singen gehört wie das Beten und Arbeiten zum Hausrecht, darin
niemand gestört werden kann. Also mußte er andere Mittel gebrauchen.
Er ließ den Handwerker kommen und fragte ihn, wie hoch er sein
Singen anschlage? Der meinte, einen Tagelohn sei es sicherlich wert,
da es ihm das Tagewerk selbst so leicht mache. Jener fragte weiter,
wieviel das betrage? Der antwortete, so viel und so viel, und es war
doch nicht viel. Darauf sagte der Kaufherr, er wolle ihn einen Monat
lang zum voraus bezahlen, nicht für das Singen, sondern daß er still
sei und das Maul halte. Und er legte ihm das Geld wirklich hin.
Der Leinweber dachte bei sich, leichter könne man sich's nicht verdienen,
und er nahm das Geld und versprach, daß er still sein wolle wie ein
Mäuslein in seiner Werkstatt.
Als er mit dem Gelde nach Hause gekommen, überzählte er es
voller Freuden, und es war lauter gute Münze und so viel, als er
noch niemals zugleich beisammen gehabt hatte. Abends, ehe er schlafen
ging, liebäugelte er noch ein gutes Stündlein mit seinem Schatze, und