1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: ,
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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nach, und alle schrien: „Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" Da
sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an,
und der Kalif Chasid sprach: ,,Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert
bin, Grotzwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des
mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache
schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Komm mit mir, du
treuer Gefährte meines Elends, wir wollen zum Grab des Propheten
wandern; vielleicht, datz an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird."
Sie erhoben sich vom Dache des Palastes und flogen der Gegend
von Medina zu.
Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen, denn die
beiden Störche hatten noch wenig Übung. ,,O Herr," ächzte nach ein
paar Stunden der Grotzwesir, ,,ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht
mehr lange aus, Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend,
und wir tüten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen."
Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten
im Tale eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so
flogen sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen
hatten, schien ehemals ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen
ragten unter den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziem-
lich erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses.
Chasid und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein
trockenes Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor stehen.
„Herr und Gebieter," flüsterte er leise, „wenn es nur nicht töricht für
einen Grotzwesir, noch mehr aber für einen Storchen wäre, sich vor
Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumul, denn hier
neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt." Der Kalif blieb
nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher
einem Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung
wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Wesir
aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn flehentlich,
sie nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens!
Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug,
ritz sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren
Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, die nur angelehnt schien,
und woraus er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er
stietz mit dem Schnabel die Tür auf, blieb aber überrascht auf der
Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines