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1. (Viertes und fünftes Schuljahr) - S. 189

1910 - Frankfurt am Main : Diesterweg
189 Hier blieb er stehen, setzte seine Pfeife an den Mund und fing an zu pfeifen. Diesmal klangen aber die Töne nicht grell und schneidend, wie dazumal, wo er die Ratten gefangen hatte, sondern eine süße, wunderliebliche Weise floß von seinen Lippen, und die Klänge er- schallten so reizend und lockend, wie das Läuten silberner Glöcklein oder das Klingen von Harfen und Flöten. Als die Kinder in der Schule die wonnigen Töne vernahmen, da hörten sie nicht mehr auf die Stimme ihrer Lehrer, sondern rannten, wie von einer un- widerstehlichen Macht getrieben, aus der Schule und versammelten sich um den Rattenfänger her. Als der all die Kinder sah, lächelte er recht greulich und pfiff weiter und weiter, indem er langsamen Schritts durch die Straßen der Stadt wandelte. Der ganze Haufe der Kinder folgte ihm nach, und immer größer wurde der Schwarm im Weiterschreiten, da nun auch die Kinder aus den Häusern kamen und sich dem Zuge anschlossen, ohne auf die Befehle der Eltern zu achten. Diese selber standen meistens ganz stumm und starr und schauten, verwundert und ohne ein Glied zu regen, auf das seltsame Getümmel hinab. Vor den Häusern des Bürgermeisters und des Stadtschreibers blieb der Rattenfänger ein paar Minuten stehen, und seine Pfeife erschallte hier so lockend und süß, daß selbst die erwachsenen Töchter der beiden Ratsherren ihren Tönen nicht widerstehen konnten, sondern wie verzaubert und verhext aus den Häusern herausstürzten und sich mitten unter die Kinder mischten. Da lächelte der Rattenfänger abermals recht greulich und satanisch und ging nun unaufhaltsam aus der Stadt hinaus ins Freie, einem Berge zu, der in der Nähe gelegen war. Der ganze Schwarm der Kinder folgte ihm hüpfend und jubilierend nach. Einige Väter und Mütter, in deren Herzen die Liebe zu ihren Kindern doch noch stärker war als die Gewalt der zauberhaften Töne, suchten ihre Kleinen aus dem Schwarme herauszureißen und festzuhalten; aber die Kinder stießen unwillig die besorgten Eltern von sich und wußten ihnen so geschickt zu entschlüpfen, daß alle Mühe, sie einzufangen, vergeblich war. Der ganze Zug ging auf den Berg zu, der Koppenberg genannt wird. Als der Rattenfänger dorthin kam, spaltete der Berg sich auseinander, und die Kinder folgten dem Pfeifer nach, der geradewegs in den Berg hineinschritt. Als das letzte darin war, klappte der Berg wieder zu, und die Kinder waren für immer verschwunden.
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