1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: ,
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
blicke sein fürstliches Herz empfunden haben mag? Sein Blick ist milde,
seine ganze Erscheinung erweckt Vertrauen; wir vernehmen es auch aus
den wenigen Worten, die er zu den verzagten Einwohnern spricht: „Die
Leute sollen sich nicht fürchten." Auch sieht man's den immer wieder
Hurra rufenden Kriegern an: sie haben ihn lieb, denn er ist ihres
Vaterlandes Hoffnung. Und ihm sieht man's auch an; er hat das
Bewußtsein: „Ich bin das Haupt, ich schlage, wenn sie streiten." Gott
weiß, was die Zukunft in ihrem verschleierten Schoße birgt.
Der Siegeszug bewegt sich vorwärts in der Richtung nach Reichs-
hofen. Im Oberdorf aber schwenkt der hohe Feldherr rechts ab in
die Schindergasse. Dort liegt in ärmlicher Stube der tapfere General
Raoukt, blutend aus vielen Wunden, mit zerbrochenem Schwerte und
brechendem Herzen. Der deutsche Sieger tritt in die Bauernhütte ein,
schaut freundlich in die fiebergkühenden Augen und drückt teilnahmvoll
die todesmatte Hand. Ein Wort huldvoller Anerkennung, eine Träne
hochherzigen Mitleids vergelten den erbitterten Widerstand. Roch einmal
unter gewaltigen Siegesmürschen und endlosem Freudengeschrei wogt
der Triumphzug vorüber. Wir schauen zu; unser Herz möchte in Stücke
zerspringen. Überall Schrecken, Brand und Verwüstung, und hier vor
unsern Augen in stolzer Ruhmespracht der fremde Eroberer, in unbändiger
Begeisterung die feindlichen Scharen! O Krieg, wie schmerzlich, wie
tränenreich sind deine Folgen!
177. Ein Stücklein aus dem französischen Kriege.
Wilhelm Örtel von Horn.
„Heute kommt wieder ein Zug mit Verwundeten!“ so scholl es
durch das Städtchen B„ und alles, was Beine hatte und Zeit fand,
eilte nach dem Bahnhof. Auch ein altes Mütterchen, dem der Krieg
den jüngsten Sohn, die Stütze und die Hoffnung ihrer alten Tage,
von der Seite genommen hatte, ist unter der Menge.
„Wenn sie da am Ende auch meinen Wilhelm blutig und zer-
schossen brächten,“ denkt sie und drängt sich, bittend und flehend,
man möge sie doch durchlassen, bis in die vordersten Reihen.
Da pfeift die Lokomotive, und der Zug braust heran. Als wollte
sie sich die alten, vom Weinen getrübten Augen völlig blind sehen,
mustert das Mütterchen sämtliche Verwundete, die aussteigen; hier
sollen alle neuen Verband und Mittagessen erhalten. Ihren Wilhelm