1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: ,
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Bellevue, das Bismarck als Ort der Zusammenkunft vorgeschlagen hatte,
und in dem der Geschlagene seinen siegreichen Gegner erwartete.
Kaiser Napoleon befand sich in einem der Elassalons des
Schlößchens. Er ging mit großen Schritten auf und ab. Dann setzte
er sich an die Glaswand, den Blick starr nach der Straße gerichtet. In
der Ferne hörte er den Tritt von Pferden; näher und immer näher
kam das Geräusch; Reiter sprengten an; donnerndes Hurra erscholl
aus den Reihen der bayrischen Infanteristen und der Württembergischen
Artilleristen, die mit 48 Kanonen vor dem Schlößchen standen. Der
verhängnisvolle Augenblick war da. Der König und der Kronprinz
stiegen vom Pferd und wandten sich nach der Treppe; das fürstliche
Gefolge blieb zurück. Die Generaladjutanten des Kaisers kamen die
Treppe herab bis zur untersten Stufe und empfingen ehrfurchtsvoll
die beiden königlichen Sieger. Napoleon verließ den Glassalon, ging
durch den gleichfalls mit Glaswänden versehenen Vorflur und stieg
eine einzige Stufe der Treppe hinab. Während der König die Stufen
hinanstieg, nahm Napoleon mit der rechten Hand die Militärmühe ab
und gab dem König, der ihm die rechte Hand entgegenhielt, die linke.
Darauf gingen beide, König Wilhelm und Kaiser Napoleon, durch den
Vorflur und den Glassalon in den Mittelsalon, während der Kronprinz
im Elassalon zurückblieb. Was im Mittelsalon unter vier Augen ge-
sprochen wurde, darüber ist nichts Zuverlässiges zur öffentlichen Kenntnis
gekommen. Ein württembergischer Artillerieoffizier, der, zu Pferde
sitzend, das Zimmer übersehen und die Bewegungen beobachten konnte,
berichtet hierüber, der König habe eine Karte in der Hand gehabt und
ziemlich lange dem Kaiser gezeigt; dabei habe er eifrig gesprochen und
zuweilen auf einzelne Punkte der Karte gedeutet; dann habe er eine
Urkunde hervorgezogen, sei an einen Tisch getreten und habe Napleon
unterschreiben lassen; darauf hätten beide einander die Hand gereicht.
Es scheint also bei dieser Unterredung, die etwa eine Viertelstunde
dauerte, von dem künftigen Aufenthaltsort des Kaisers und von dem
dahin führenden Wege die Rede gewesen zu sein. Nach Beendigung
der Unterredung trat, auf die Aufforderung des Königs, der Kronprinz
in den Salon. Der Kaiser reichte ihm die Hand und sprach einige Worte
mit ihm. Beim Abschied begleitete er den König und den Kronprinzen
aus dem Salon. Beide stiegen wieder zu Pferd. ,,Wir waren beide sehr
bewegt über dieses Wiedersehen," schrieb der König in seinem Briefe
vom 3. September; ,,was ich alles empfand, nachdem ich noch vor