1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: ,
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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auch seine Ruhe haben, und so habe ich mir den Tee allein auf der
Spirituslampe gewärmt." — War je ein Herr rücksichtsvoller gegen
seine Diener? — Derselbe Kammerdiener sagte einst: „Ich bin nun
vierzig Jahre bei meinem kaiserlichen Herrn, und noch soll ich den
ersten Befehl, geschweige ein böses Wort hören; bei Seiner Majestät
heißt es immer: „Ich bitte" und „Ich danke" — nie anders.
187. Aus den letzten Tagen Kaiser Wilhelms I. (1888).
Bernhard Rogge.
Mit banger Sorge sah der Kaiser den täglich eingehenden Nach-
richten von dem Krankenlager des geliebten Sohnes entgegen. Die
Hoffnung auf eine Heilung des Leidens ward immer schwächer, und
nur der entschiedene Widerspruch der Ärzte vermochte den tiefbekümmerten
Vater abzuhalten, dem Drange seines Herzens zu folgen und selbst
nach San Remo zu eilen.
In dieser schweren Schickung der letzten Jahre seines Lebens ge-
reichte dem Kaiser die aufrichtige Teilnahme, die sich nicht bloß in
Deutschland, sondern in der ganzen Welt offenbarte, zum reichen Troste.
In der Reichshauptstadt gab sich die Liebe zu dem allverehrten Kaiser
dadurch kund, daß sich Tausende um die Mittagsstunde vor seinem
Palaste versammelten, um den Kaiser beim Aufziehen der Wache an
dem bekannten Fenster zu sehen, sein ehrwürdiges Antlitz zu erblicken
und ihn ehrfurchtsvoll zu grüßen.
Diese Ansammlungen vor dem kaiserlichen Palais waren seit Jahren
schon zur Gewohnheit geworden. Als dem Kaiser einmal davon ge-
sprochen wurde, wie huldvoll es von ihm sei, daß er sich täglich der
Mühe unterzöge, sich ain Fenster zu zeigen, erwiderte er: „Das ist
meine Pflicht, es steht ja sogar im ,Bädekerh daß ich beim Aufziehen
der Wache am Fenster zu sehen bin." Als am letzten Neujahrsmorgen
die Minister zur Beglückwünschung im Palais versammelt waren, sagte
der Kaiser, auf die Menschenmenge hinweisend, die sich drängte, ihn
zu erblicken: „Sehen Sie, meine Herren, das geht nun alle Tage so.
In den ersten Jahren meiner Regierung war kein Mensch hier zu
sehen. Dann machten eines Tages fünf oder sechs den Anfang, beim
Vorüberziehen der Wache hier stehen zu bleiben. Bald wurden es zehn,
zwanzig, dreißig, und so hat es sich von Jahr zu Jahr gesteigert. Es
ist aber doch besser so, als wenn's umgekehrt wäre."