1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: ,
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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Taunus hält die kalten Nordwinde ab, und der hier sehr breite
Strom wirkt mäßigend auf kalte und warme Witterung. So erfreut
sich der Rheingau eines vorzüglichen Klimas. Die ganze Gegend
gleicht einem paradiesischen Garten. In den unteren Teilen wechselt
fruchtbares Ackerland mit vereinzelten Weingärten und großen Obst-
anlagen ab. Hier gedeihen edle Äpfel und Birnen, vorzügliche
Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche, Walnüsse und Edelkastanien. Weiter
hinauf an den Abhängen, die der Sonnenglut ganz ungehindert
ausgesetzt sind, reiht sich Weinberg an Weinberg.
Dicht an dem Rhein liegt eine ganze Reihe freundlicher Dörfer
und Städtchen, von denen fast jedes einige alte Herrensitze mit
großen Parks aufweist. Ein Kranz von prachtvollen Landhäusern
umsäumt auf weite Strecken den Strom und wird nur ganz selten
von einer Fabrikanlage unterbrochen.
Die Haupterwerbsquelle des Rheingaus bildet der Weinbau.
Der Rheingau ist ein Weingau. Sorgfältig wird der Boden der
Weinberge mit schweren Hacken tief gelockert und alles Unkraut
vernichtet. Der Dung muß in Kiepen oder Körben auf dem Rücken
zwischen die Reihen der Rebstöcke getragen werden. Von Zeit
zu Zeit ist der Weinberg auch zu schiefern, das heißt, man zerschlägt
den Schiefer in kleine Stücke und streut diese in die Nähe der Trauben-
stöcke, um dem Boden neue Nährsalze zuzuführen. Außerdem ver-
schluckt der dunkle Schiefer viel Hitze und erwärmt dadurch den
Boden beträchtlich.
Auf steilen Abhängen errichtet man Mauern, damit der Regen
den Boden nicht hinabschwemmt. An Eichenpfählen oder an Drähten
werden die Reben festgebunden, um ihnen eine Stütze zu geben.
Mit kundiger Hand und scharfem Schnitt muß im Frühjahr das
überflüssige Rebholz entfernt ‘werden, weil sonst der Weinstock viele
Ranken und Blätter, aber keine Blüten und Trauben erzeugen würde.
Vor zahlreichen Schädlingen, die sich leider in den letzten Jahren
ununterbrochen mehren, hat der Winzer seine Reben zu schützen.
Der Wurzel droht die Reblaus, und zu ihrer Vernichtung hat die
Regierung eine ständige Kommission ernannt. Von der Reblaus
befallene Weinberge werden ganz ausgehauen, der Boden wird mit
Erdöl getränkt, um das schädliche Insekt zu vernichten, und außerdem
dürfen erst nach einigen Jahren wieder Reben darin angepflanzt
werden.