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1. Neuntes Schuljahr - S. 234

1912 - Halle a.S. : Schroedel
234 „Ich weiß, was ihr vorhabt,“ sagte er, „und ich komme, um euch die Mühe und Schlechtigkeit des Autlauerns zu ersparen. Habe ich euch etwas zuleide getan, so sagt es mir gerade heraus, und bin ich straffällig, so will ich dafür büßen.“ Die Bauern sahen ihn erst stutzig an; dann trat einer nach dem andern an ihn heran, bot ihm die Hand und bat um Ver- zeihung. Ein andres Mal begegnete Oberlin, als er, mit einem Buch in der Hand, auf einem einsamen Gebirgsstege ging, einem wild und trotzig aussehenden Arbeiter, der einen Balken trug und ihn statt jeden Grußes mit den schmählichen Worten anredete: „Wo hinaus, Hans Hornvieh?“ — „Du irrst dich, Freund,“ versetzte der Pfarrer mit würdiger Ruhe, „ich heiße Oberlin.“ Und der Bauer ging beschämt weiter. 6. Oberlin begnügte sich nicht damit, den Bauern ihre Laster vor- zuhalten, sondern er zeigte ihnen auch, in welcher Weise sie ihr Leben zum Bessern zu ändern hätten, und wie sie auch ihrer leiblichen Not ab- helfen könnten. Er wies sie vor allem auf Arbeit und Tätigkeit hin und zeigte, wie man auch dem kärgsten Boden noch einen Ertrag ab- ringen könne. Als die bessere Jahreszeit begann, lehrte er sie bestimmte Rinnsale graben, um den Abfluß der Gebirgswasser, welche alljährlich das Erdreich zerrissen und die dünne Schicht des Pflanzenbodens hin- yvegschwemmten, zu regeln. Er hieß das Gerölle und Gestein von den Feldern entfernen und die tierischen und Pflanzenabfälle, die sonst unreinlich vor den Hütten um- herlagen, zusammentragen, um sie zur Düngung zu benutzen. Ungläubig schüttelten die Bauern zu den Ratschlägen des Pfarrers die Köpfe; sie meinten, daß er es wohl verstehen möchte, eine Predigt zu halten, in der Landwirtschaft aber werde das Stadtkind sie nicht be- lehren. „Bei uns wächst doch nichts Rechtes,“ war die gewöhnliche Redensart, mit der sie seine Aufforderungen zur Arbeit ablehnten. Aber Oberlin predigte auch durch die Tat. Er fing mit seinem Diener allein an zu graben und zu arbeiten, und als er so einen kleinen, gedeih- lichen Acker an seinem Pfarrhause geschaffen, da wunderten sich die Bauern und weigerten sich nicht mehr, seinem Rate zu folgen. „Aber wo nehmen wir die Ackergeräte her?“ fragten sie nun; denn in der Gemeinde gab es weder diese noch Handwerker. Auch dafür schaffte Oberlin Rat; er ließ solche aus Straßburg kommen und lieh sie den Bauern, Die Bezahlung stundete er ihnen so lange, bis sie dieselbe schon aus dem Nutzen, den sie ihnen gebracht hatten, berichtigen konn- ten. Da fernerhin die Samenkartoffeln durch mehrjährige Mißernten untauglich geworden waren, so verschrieb er Saatkartoffeln aus Loth- ringen und Deutschland und verteilte sie. Er ließ auch Flachssamen von
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