1910 -
Halle a.S.
: Schroedel
- Autor: Steger, August, Wohlrabe, Wilhelm
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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Liebling des Hofes, mit einer großen Schar der Begleiter; auch er die
Schläfe mit goldnem Reife geschmückt. Mit der Schar der Edeln reiten
sie in das Freie; groß ist Getön und Gedrang; laut schallen die Hörner,
bellen die Hunde. Jetzt erst folgt die Reihe der Königstöchter; sie schwin-
gen sich mit den Frauen ihres Gefolges auf die Rosse; sie jagen auf flüch-
tigen Rossen den Männern nach in das Freie.
3. Das ganze Jagdheer ist am Waldessäume gesammelt. Die Ketten
werden den Hunden abgelöst; sie stürzen in das Holz, das Wild zu suchen.
Die Reiter umgeben das Dickicht; Gebell erschallt; ein Eber ist gefunden;
den Hunden stürmen die Männer nach. Der Wald ertönt vom lauten Getöse.
Der Eber stürzt vorwärts und hält sich auf der Höhe des Berges. Die
Hunde erreichen ihn; er aber fällt sie an mit scharfem Zahn. Da sprengt
der König selbst herzu, und als der Schnellste im Haufen stößt er ihm
das Eisen in die borstige Brust und ruft laut dem Gefolge zu: „Gut Heil
dem Tage, wie der Anfang war; wohlauf an Weidmanns Werk mit
Gunst, Gesellen!" — Kaum war das Wort gesprochen, so stob der Haufe
den Berg hinab, und jeder dachte der Beute; Karl aber flog allen voran,
den Wurfspeer in der Hand.
4. Viel Wild ward erlegt bis zum Abend. Da teilte der König die
Jagdbeute unter alle Edeln; dann ging der Zug nach der grünen Lichtung,
wo ein Bach floß, Wohnsitz von vielen Vögeln, die dort hausten und
badeten. Dort standen goldgeschmückte Zelte auf dem Grunde und hin
und wieder die Jagdhütten der Edeln. Und Karl rüstete den Jagdgenossen
ein frohes Mahl und setzte sie nach den Jahren gesellt, die würdigen Greise
zusammen, die Männer bei vollen Jahren und wieder die flügge Jugend
und gesondert die Jungfrauen. Er ließ den Wein auf die Tische sehen.
Unterdes sank die Sonne; die Nacht stieg herauf; die Müden ruhten aus
unter dem Zeltdache im grünen Walde.
5. Nicht ohne Gefahren war die Jagd im Bergwald; noch wurde
der Bär und Auerochs verfolgt, und Karl selbst erlebte mit dem wilden Ge-
tier Abenteuer. Einst, — es war in früheren Jahren, — verfolgte er einen
Trupp Ure. Er fuhr an eins der Tiere heran und hob die Waffe, aber
der Schlag mißlang; das greuliche Tier zerriß dem Könige die Strümpfe
und die Bänder der Schuhe und traf mit der Spitze des Horns sein
Bein. Jsambard aber, der Sohn des Warin, sprang gegen das Tier,
bohrte den Speer zwischen Schulter und Hals bis in das Herz und wies
das zuckende Ungeheuer dem Könige. Der König aber tat, als sähe er's
nicht. Nun kamen alle und wollten zum Dienste des Königs ihre Strümpfe
ausziehen; er aber hinderte sie und sprach: „So zugerichtet muß ich zu
Hildegard kommen." Der König ritt zurück; er rief die Königin, zeigte
ihr den zerrissenen Fuß und sprach: „Was verdient der, der mich von
diesem Gegner befreit hat?" Und sie erwiderte: „Das Beste." Da er-