1912 -
Hannover
: Norddt. Verl.-Anst. Goedel
- Autor: Kippenberg, August, Rosteutscher, Waldemar
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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um dieselbe Riesenarbeit hier von neuem zu beginnen. Ruch hier gab es
kein Wasser, Eis noch viel weniger, und die Hitze war groß. Dazu überstieg
der Krankenbestand an diesem kleinen Ort anfänglich 6000 Mann,- die
Kirche war mit verwundeten überfüllt, Frau Simon schreibt darüber:
„Ls ist rührend, wie die Rrzte und das ganze Sanitätspersonal es
sich angelegen sein lassen, die Leidenden aus der Kirche herauszutragen
auf den Friedhof in die frische, milde Luft, an ein sonniges Plätzchen —
und sie sorgsam in ihre Decken hüllen oder letztere neben ihnen aufhängen,
damit sie vor jedem Zug geschützt sind. Manchem haben sie das Lager auf
einem Leichensteine zurechtgemacht. Da liegen nun Deutsche und Franzosen,
die sich eben noch wütend bekämpft haben, friedlich nebeneinander aus
einem Friedhofe, sie, die Lebenden, die erst ihr Leben so freudig eingesetzt
und es jetzt doch nicht lassen mächten, unter den Toten, vorüber ist
alle irdische Leidenschaft,- hier herrscht Friede und Versöhnung."
So setzte die mutvolle Frau während des ganzen Krieges ihre opfer-
willige Tätigkeit fort, vor Sedan wie vor Paris, überall zur rechten Zeit
eingreifend, überall mit klarem Blick die nächsten Bedürfnisse erkennend,
für deren Befriedigung ihr praktischer Zinn und ihre rasche Entschlossenheit
auch stets Mittel und Wege zu finden wußte. Den größten Gefahren
trotzte sie mit unerschrockenem Mut. von dem Umfange ihrer Rrbeiten
und psiichten kann man sich kaum eine Vorstellung machen. In der Nähe
von Paris hatte sie eine Verpflegungsstation errichtet und versah hier
in der Zeit vom 10. Oktober bis zum 25. November mehr als 63000 Mann
mit Suppe und Fleisch und 17500 Mann mit Kaffee. Rußerdem aber
errichtete sie noch Passantenlazarette, in denen während derselben Zeit
4941 Kranke und verwundete aufgenommen und verpflegt wurden.
Rls endlich der Friede geschloffen wurde und auch Frau Simon, begleitet
von den heißen Segenswünschen Tausender, in die Heimat zurückkehrte,
da ging sie sogleich an die Rusführung des planes, den ihre edle Seele
inmitten aller Schrecken des Krieges gefaßt hatte: sie gründete eine
Heilstätte für deutsche Invaliden und alleinstehende Kranke, zugleich eine
Lehranstalt für Krankenpflegerinnen. Das dankbare Vaterland unterstützte
fteudig das Werk. Mein nur kurze Zeit war es ihr vergönnt, ihre
Schöpfung emporblühen zu sehen. Rm 20. Februar 1877 entriß der
Tod sie ihrem schönen Wirkungskreise. Noch am Tage vor ihrem Tode
hatte die edle Königin Tarola von Sachsen an ihrem Krankenlager
gestanden, und die Träne im Rüge der hohen Frau bezeugte, wieviel sie
in der Sterbenden verlor. „Nicht müde werden!" — hatte diese so oft
auf den Schlachtfeldern wie an den Krankenbetten des Lazaretts ihren
braven Mertinerinnen zugerufen, und nun war für sie selbst die Nacht
gekommen, da sie müde das Haupt neigte. Ihr Rndenken aber bleibt in
Segen, denn an ihr erfüllte sich das Wort der Schrift, daß die Edlen „rubeu
von ihrer Rrbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach".
Rudolf Bunge.