Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 4 - S. 346

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
346 Der Lastzug schwankt langsam vorüber und entschwindet dem Nuge in einem dunstigen Luftsee, auf dessen wogenden wellenschichten die Kamele zu schweben scheinen. Noch immer verweilt man in derselben Lage, leidet man unter denselben Beschwerden. Die Lonne hat die Mittagshöhe längst überschritten,- aber nach wie vor sendet sie ihre glühenden Strahlen mit gleicher Stärke hernieder. Endlich, in den Spätnachmittagsstunden, bricht man von neuem auf. Und wiederum ein Bitt, daß die rasche Bewegung einen beinahe kühlenden Luftzug entgegenführt, bis die Lastkarawane wieder in Licht kommt und bald darauf erreicht wird. Singend schreiten die Kamelsührer hinter ihren Tieren einher. Liner von ihnen trägt das Lied vor, die übrigen schließen jeden einzelnen Vers mit regelmäßig wiederkehrendem Endreim. Wenn man die Mühsale erwägt, die ein Kameltreiber auf Wüsten- reisen zu erleiden hat, wundert man sich freilich, daß man ihn singen hört, vor Tagesanbruch belud er sein Lasttier, nachdem er mit ihm einige Hand- voll weichgekochter Durrahkörner, beider einzige Nahrung, geteilt hatte; während des ganzen langen Tages schritt er, ohne einen Bissen mehr zu genießen, höchstens an stinkendem Schlauchwasser zeitweilig sich erlabend, hinter seinem Tiere einher,- die Lonne sengte seinen Scheitel, der glühende Land verbrannte seine Sohlen, die heiße Luft trocknete seinen schweiß- triefenden Leib; ihm blieb keine Zeit, zu ruhen, zu rasten; er mußte vielleicht noch einige seiner Tiere umladen, eines oder das andere, das ihm durchgegangen, wieder einfangen; und dennoch singt er jetzt seine Lieder. Das wirkt die Nacht der Wüste. 2. Venn die Lonne zur Rüste geht, scheinen sich die Glieder dieser ausgedörrten Wüstenkinder neu zu erfrischen; denn auch sie gleichen in allem und jedem ihrer erhabenen Mutter, der Wüste. Mit ihr erglühen sie um die Mittagszeit, mit ihr erblühen sie zur Zeit der Nacht. Sobald die Lonne sich neigt, spinnt ihre Dichtergabe goldene Träume noch im Wachen aus. Der Länger preist wasserreiche Brunnen, Palmengruppen um sie her und dunkle Zelte unter ihnen; er grüßt ein braunes Mädchen in einem der Zelte, das ihm den Gruß des heiles spendet, rühmt ihre Schönheit, vergleicht ihre Nugen mit denen der Gazelle, ihren Mund mit einer Nose, deren Blütendüfte als Worte in der Muschel seines Ghres zu perlen sich reihen, verschmäht des Sultans erstgeborene Tochter ihret- halben und sehnt die Stunde herbei, in der das Geschick ihm gestattet, das Zelt mit ihr zu teilen. Seine Genossen aber mahnen ihn, noch höhere Sehnsucht zu empfinden, und richten deshalb fort und fort seine Gedanken auf den Propheten, „welcher unsere Sehnsucht, unser verlangen stillt". So klingt es dem nordischen Fremdlinge entgegen, und auch ihm drängen sich Lieder der Heimat über die Lippen. Und wenn dann der letzte rosige Dufthauch der geschiedenen Sonne nachglüht, wenn die Nacht ihr Zaubergewand über die Wüste breitet, dann will es ihm scheinen, als sei das Schwerste leicht gewesen, als habe er während des Tages Glut
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer