1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
scharen der streitenden Kirche des Klosters Mitglieder, Priester
und Diakonen. Das Amt des Vorlesers vor dem Imbiß stand in
dieser Woche bei Ekkehard dem Pförtner. Der Herzogin zu Ehren
hatte er den 44. Psalm erkoren; er trat auf und sprach einleitend:
„Herr, öffne meine Lippen, auf daß mein Mund dein Lob verkünde",
und alle sprachen^ ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung.
Nun erhob er seine Stimme und las den Psalm, den die Schrift
selbst einen lieblichen Gesang nennt.
Darauf begann die Mahlzeit. Der Küchenmeister, wohl wissend,
wie bei Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Kloster-
kost gestattet sei, hatte es nicht beim üblichen Mus von Hülsen-
früchten bewenden lassen. Wohl erschien zuerst ein dampfender
Hirsebrei, auf daß, wer gewissenhaft bei der Regel bleiben wollte,
sich daran sättige. Aber Schüssel auf Schüssel folgte; bei mächtigem
Hirschziemer fehlte der Bärenschinken nicht; sogar der Biber vom
oberen Fischteich hatte sein Leben lassen müssen. Fasanen, Reb-
hühner, Turteltauben und des Vogelherdes kleinere Ausbeute folgten;
der Fische aber eine unendliche Auswahl, so daß schließlich ein jedes
Getier, watendes, fliegendes, schwimmendes und kriechendes, auf
der Klostertafel seine Vertretung fand.
Als der stattliche Nachtisch, auf dem Pfirsiche, Melonen und
trockene Feigen geprangt hatten, verzehrt war, mußte wieder
— so wollte es des Ordens Regel — zur Erbauung der Gemüter
ein Abschnitt aus der Schrift oder dem Leben heiliger Väter gelesen
werden. Darum las Ekkehard ein Stück aus dem Leben des heiligen
Benediktus, das der Papst Gregorius verfaßt. Dann brachte der
eine Laute, jener ein Geiglein, worauf nur eine Saite gespannt,
ein anderer eine Art Hackebrett mit eingeschlagenen Metallstiften,
zu deren Anschlag ein Stimmschlüssel dienlich war, wiederum ein
anderer eine kleine zehnsaitige Harfe; Psalter hießen sie das seltsam
geformte Instrument und sahen in seiner dreieckigen Gestalt das
Symbol der Dreieinigkeit. Und dem Tutilo reichten sie einen dunklen
Taktstab von Ebenholz. Lächelnd erhob sich der graue Künstler
und gab ihnen das Zeichen zu einer Musika, die er selbst in jungen
Tagen aufgesetzt; mit Freudigkeit hörten’s die anderen.
Zu unterst am Tische saß ein stiller Gast mit blaßgelbem Ge-
sichte und sch warzkrausem Gelock; er war aus Welschland gekommen
und hatte von des Klosters Gütern im Lombardischen die Saumtiere