1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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großen Stadt, täglich 400 Taler zu seinem Unterhalt erpreßt, der
Herzog von Abrantes vier Wochen lang täglich 75 Taler. Die Offiziere
halten von der Frau des armen Dorfgeistlichen gefordert, daß sie ihnen
die Schinken in Rotwein koche; den fettesten Rahm tranken sie aus
trügen und gossen Zimtessenz darüber; auch der Gemeine bis zum
Trommler hatte getobt, wenn er des Mittags nicht zwei Gänge erhielt,
wie Wahnsinnige hatten sie gegessen. Aber schon damals ahnte das
Volk, daß die Franzosen so nicht zurückkehren würden, und diese glaubten
es selbst. Wenn sie sonst mit ihrem Kaiser in den Krieg gezogen waren,
hatten ihre Rosse gewiehert, so oft sie aus dem Stalle geführt wurden;
damals ließen sie traurig die Köpfe hängen; sonst waren die Krähen
und Raben dem Heere des Kaisers entgegengeflogen; damals begleiteten
die Vögel der Walstatt das Heer nach Osten, ihren Fraß erwartend.
Aber was jetzt zurückkehrte, das kam kläglicher, als einer im Volk
geträumt hatte. Es war eine Herde armer Sünder, die ihren letzten
Gang angetreten hatten, es waren wandelnde Leichen. Ungeordnete
Hausen, aus allen Truppengattungen und Nationen zusammengesetzt,
ohne Kommandoruf und Trommel, lautlos wie ein Totenzug, nahten
sie der Stadt. Alle waren unbewaffnet, keiner beritten, keiner in voll-
ständiger Montur, die Bekleidung zerlumpt und unsauber, aus den
Kleidungsstücken der Bauern und ihrer Frauen ergänzt. Was jeder
gefunden, hatte er an Kopf und Schultern gehängt, um eine Hülle
gegen die markzerstörende Kälte zu haben: alte Säcke, zerrissene Pferde-
decken, Teppiche, Schals, frisch abgezogene Häute von Katzen und
Hunden; man sah Grenadiere in großen Schafpelzen, Kürassiere, die
Weiberröcke von buntem Fries wie spanische Mäntel trugen. Nur wenige
hatten Helm und Tschako, jede Art Kopftracht, bunte und weiße Nacht-
mützen, wie sie der Bauer trug, tief in das Gesicht gezogen, ein Tuch
oder ein Stück Pelz zum Schutz der Ohren darübergeknüpft, Tücher
auch über den untern Teil des Gesichts. Und doch waren der Mehrzahl
Ohren und Nase erfroren und feuerrot, erloschen lagen die dunkeln
Augen in ihren Höhlen. Selten trug einer Schuh oder Stiefel; glücklich
war, wer in Filzsocken oder in weiten Pelzschuhen den elenden Marsch
machen konnte; vielen waren die Füße mit Stroh umwickelt, mit Decken,
Lappen, dem Fell der Tornister oder dem Filz von alten Hüten. Alle
wankten, auf Stöcke gestützt, lahm und hinkend. Auch die Garden unter-
schieden sich von den übrigen wenig; ihre Mäntel waren verbrannt, nur